Neues Testament

Jacob Thiessen: Einleitung in das Neue Testament

Jacob Thiessen: Einleitung in das Neue Testament. Themen der Theologie 15, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2024, 456 S., € 34,-, ISBN 978-3-374-07508-9


Jacob Thiessen, Rektor der STH Basel und Professor für Neues Testament, liefert mit dem vorliegenden Werk eine Einleitung in das Neue Testament aus biblisch-konservativer Perspektive. Den Entwurf habe er auf das „Notwendige“ beschränkt, da es nicht nur als Einleitung, sondern auch als Lehrbuch dienen soll (5).

Das Buch ist in sechs Abschnitte unterteilt. Im ersten Teil wird die allgemeine Einleitung abgehandelt. Hier geht Thiessen nach einer kurzen Besprechung des Begriffs und der Aufgabe der Einleitungswissenschaft (16–18) vor allem auf die historische Entwicklung nach der Aufklärung ein. Durch einen kurzen Überblick über Wrede, Troeltsch und Baur gelangt er zum Instrumentarium der neutestamentlichen Wissenschaft und schließlich zur heutigen historisch-kritischen Perspektive auf die Texte des Neuen Testaments. Am Beispiel von Theobalds Prozess Jesu (2022) werde deutlich, dass die heutige Herangehensweise an die Schriften des frühen Christentums das „Wirken Gottes aus der Geschichte und somit auch aus der Bibel“ ausschließe (21). Dementsprechend möchte das vorliegende Werk dieser nicht „sachlichen“ Theologie einen Gegenentwurf vorlegen. Damit sind die Voraussetzungen gleich zu Beginn offengelegt: Die Einleitung möchte den Wahrheitsanspruch der neutestamentlichen Schriften ernst nehmen und das Wirken Gottes im Kontext dieser Schriften nicht von vornherein ausschließen.

In den folgenden Kapiteln widmet sich Thiessen der speziellen Einleitung zu den 27 Büchern des Neuen Testaments. Seine Untersuchung der synoptischen Evangelien bietet eine Alternative zur weit verbreiteten Zwei-Quellen-Theorie. Er löst sich von der Markuspriorität und argumentiert für eine frühe Entstehung des Matthäusevangeliums um 40 n. Chr. sowie eine enge Verbindung der synoptischen Evangelien zu apostolischen Augenzeugenberichten (75–96).

Auch in der Analyse der Paulusbriefe liefert Thiessen eine Argumentation für deren Echtheit und frühe Entstehung. Er setzt sich kritisch mit der Annahme auseinander, dass einige Briefe als pseudepigraphisch betrachtet werden müssen, und zeigt im Gegenzug, wie die Überlieferungsgeschichte und die inhaltliche Konsistenz für eine einheitliche Autorschaft durch den Apostel Paulus sprechen könnten (145–287). Ebenso begründet er die Authentizität der katholischen Briefe und der Johannesoffenbarung, die er in enger Verbindung mit den Aposteln und ihren Schülern sieht (366–390).

Bei allen Detailfragen, die hier nicht in hinreichendem Umfang diskutiert werden können, gibt es zwei Aspekte, die sich durch die gesamte Einleitung hindurchziehen. Zunächst werden die Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung weitestgehend abgelehnt, was sich vornehmlich in Verfasserschafts- und Datierungsfragen niederschlägt.

Der zweite Aspekt, der das Gesamtwerk prägt, ist, dass der Autor altkirchliche Quellen ins Gespräch bringt, die oftmals weisungsgebende Funktion haben. Den Fragen nach Datierung und Verfasserschaft wird mit altkirchlichen und rabbinischen Quellen begegnet, die die Historizität der Bibel untermauern bzw. plausibel machen sollen.

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass Thiessen eine gelungene Einleitung aus konservativer Perspektive liefert. Ihm gelingt es, die neutestamentlichen Schriften als glaubwürdige Zeugnisse apostolischer Autorität nachvollziehbar in ihren historischen Kontext einzubetten. Wer die Ansichten von Thiessen teilt, bekommt hier als Studierender oder interessierter Laie Argumente und Quellen an die Hand, die eine Einordnung der neutestamentlichen Schriften aus konservativer Perspektive stärken. Thiessens Werk bietet, ganz in der Linie Erich Mauerhofers, einen soliden Gegenentwurf zur etablierten neutestamentlichen Einleitungswissenschaft und wird vor allem bei bibeltreuen Leserinnen und Lesern auf große Zustimmung stoßen. Studierende, die aus dem universitären Kontext kommen, werden mit den Ergebnissen dieser Einleitung sicherlich fremdeln. Dennoch macht der Umstand, dass ein solches Werk von der Evangelischen Verlagsanstalt veröffentlicht wurde, Mut und Hoffnung, die den Austausch zwischen historisch-kritischer Forschung und evangelikalen Positionen zu fördern.

Dennoch hat die Einleitung m. E. einige inhaltliche und formale Mängel. Zunächst ist festzuhalten, dass Leserinnen und Leser ohne Ursprachenkenntnisse aus den griechischen Textvergleichen wenig Erkenntnis gewinnen können. Bei einer Einleitung, die sich dezidiert an eine breite Leserschaft richtet, wäre an einigen Stellen (z. B. S. 91-95) eine deutsche Übersetzung des Bibeltextes sinnvoll. Da sich das Werk als Lehrbuch versteht, wäre nicht nur ein großes Literaturverzeichnis am Ende, sondern auch ein Hinweis am Ende der einzelnen Kapitel auf vertiefende Literatur oder neuere Forschungsschwerpunkte hilfreich, um Studierenden den Einstieg in die Einleitungswissenschaft zu erleichtern.

Auf inhaltlicher Ebene wirkt der Umgang mit den altkirchlichen und rabbinischen Quellen stellenweise doch sehr optimistisch. So werden Quellen aus rabbinischer Literatur scheinbar nach dem Vorbild Strack/Billerbecks mosaikartig an die Texte und Vorstellungen des Neuen Testaments herangetragen. Die zeitliche und religionsgeschichtliche Kluft, die es zwischen den Texten zweifellos gibt, wird leider selten angesprochen oder reflektiert. Und auch welche Methodik zur Bewertung dieser Quellen hier verfolgt wird, bleibt der Leserschaft vorenthalten.

Zudem führt der starke Drang zur historischen Verankerung an einigen Stellen zu unnötigen Engführungen – ob Jesus „wahrscheinlich am 7. April 30 n. Chr. gestorben“ ist (157), ist m. E. angesichts der Quellenlage wenig „wahrscheinlich“, sondern lediglich möglich.

Abschließend muss noch angemerkt werden, dass leider einige Druck- bzw. Schreibfehler den Lesefluss stören. So finden sich beispielsweise auf der beliebig gewählten Doppelseite 294/295 einige Fehler. Auch einige Jahresangaben sind nicht korrekt. Eine Überarbeitung wäre bei einer Neuauflage wünschenswert.

Zusammenfassend bietet Thiessens Einleitung in das Neue Testament eine fundierte, konservative Alternative zur historisch-kritischen Forschung. Seine Argumentation für die frühe Entstehung und apostolische Autorschaft der neutestamentlichen Schriften ist klar strukturiert und umfassend belegt, auch wenn sie nicht ohne methodische und inhaltliche Herausforderungen bleibt. Die konsequente Rückbindung an altkirchliche und rabbinische Quellen stärkt seine Position, geht aber mit einer selektiven Quellenauswahl und fehlender methodischer Reflexion einher. Während das Werk vor allem bibeltreue Leserinnen und Leser ansprechen wird, dürfte es für Studierende aus dem deutschen Universitätsbetrieb, die vornehmlich mit der historisch-kritischen Forschung vertraut sind, eine Herausforderung darstellen. Trotz einiger formaler Schwächen stellt Thiessens Buch jedoch eine wertvolle Ergänzung zur neutestamentlichen Einleitungswissenschaft dar und eröffnet einen erfrischenden, Diskurs über die Historizität und Glaubwürdigkeit der biblischen Texte.


Simeon Redinger (M.A.), Pastor und Doktorand bei Jun.-Prof. Dr. Jan Rüggemeier an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn.