Johannes Traichel: Evangelikale und Homosexualität
Johannes Traichel: Evangelikale und Homosexualität. Für eine Kulturreform, 4., ergänzte Auflage, Hammerbrücke: jOTA, 2024, Pb., 314 S., € 19,95, ISBN 978-3-949069-08-6
Johannes Traichel ist Pastor der Freien evangelischen Gemeinde in Donaueschingen. In Bezug auf das Praktizieren homosexueller Neigungen vertritt er einen konservativen Standpunkt: Solches Praktizieren sei aus biblischer Sicht abzulehnen. Für seine eigene Sichtweise bevorzugt Traichel die Bezeichnung „traditionell“ und stellt sie einer „progressiven“ (oder „revisionistischen“) Sichtweise gegenüber (50f). Ich halte den Begriff „progressiv“ für geeignet, da er respektvoll klingt, setze ihn aber immer in Anführungszeichen, denn ob diese Sichtweise wirklich „fortschrittlich“ ist, ob sie uns als Christen voranbringt – genau das ist die zu klärende Streitfrage.
Wer bei „Kulturreform“ (so im Untertitel) an Revision/revisionistisch denkt, wird enttäuscht. Diesen Begriff erläutert Traichel erst am Ende seines Buches (274): Homosexuell Empfindende sollen in unseren Gemeinden ebenso willkommen sein wie andere Menschen (vielleicht müssen manche Christen eine innerlich reservierte Haltung ablegen). Diese „Kultur der Gnade und Barmherzigkeit“ wird vielen Homosexuellen jedoch zu wenig sein, solange wir ihre gelebte Homosexualität ablehnen und ihnen unter Hinweis auf eine „Kultur der Heiligung“ einen zölibatären Lebensstil nahelegen.
Bei diesem Thema fällt es vielen Menschen schwer, sich sachlich mit einer Position auseinanderzusetzen. Das zeigt bereits ein Blick auf die Bewertungen bei Amazon: Je nach eigenem Standpunkt wird Traichels Buch empfohlen oder kritisiert, eine mittlere Bewertung (mit 3 Punkten) gibt es nicht. Das entscheidende Beurteilungskriterium scheint die Nähe zur eigenen Meinung zu sein.
Bei diesem Streitthema ist ein sachlicher Zugang wichtig, um nicht zusätzlich zu emotionalisieren. Traichel vermeidet einen kämpferischen Ton. Er versucht die Erfahrungen auf diesem Gebiet realistisch einzuschätzen. Im Abschnitt „Gibt es Veränderungen?“ (38–40) nennt er beide Möglichkeiten: Dass es in Bezug auf die sexuelle Orientierung bei manchen Menschen zu Veränderungen kommt, aber bei anderen nicht; beide Möglichkeiten sind auch bei änderungswilligen homosexuell Empfindenden zu beobachten.
Traichel wendet sich an ein breites Publikum, das an biblischer Orientierung interessiert ist. Er stützt sich auf Fachliteratur und setzt sich mit anderen Sichtweisen auseinander. Diese Stimmen kommen in zahlreichen Zitaten zu Worte. Darin sehe ich einen Vor- und einen Nachteil: Der Leser bekommt in Traichels Buch die Äußerungen anderer Autoren im Original vorgesetzt. Der Stil wirkt dadurch jedoch weniger flüssig. Die Zitate und Hinweise belegt Traichel in insgesamt ca. 600 Fußnoten.
Die beiden Schwerpunkte des Buches sind, wie der Titel vielleicht erahnen lässt, Bibelstellen zur (Homo-)Sexualität sowie der konkrete Umgang mit Betroffenen in Gemeinden. Die im Buch angesprochenen Facetten des Themas betreffen die biblische Exegese, die Ethik und die pastorale Praxis, also sehr unterschiedliche Felder der Theologie.
Bei der Auslegung der Bibelstellen bezieht Traichel außerbiblische Quellen mit ein. In Bezug auf die Zeit des Alten Testaments ist die Quellenlage allerdings „äußerst dünn“ (65). Weit umfassender ist die außerbiblische Quellenlage zur Zeit des Neuen Testaments und davor. Hier widerspricht Traichel (81–86: „Zu 4:“) der Behauptung „progressiver“ Christen, dass es dauerhafte und einvernehmliche homosexuelle Beziehungen in der Antike nicht gegeben hätte (woraus oft abgeleitet wird, dass die biblischen Warnungen sich nur auf die damals verbreiteten, nicht gleichberechtigten Konstellationen beziehen würden). Dazu sind folgende zwei antike Autoren zu beachten: Plutarch berichtet von der „Heiligen Schar“ von Theben – das war eine aus männlichen Liebespaaren bestehende Armee. Platon schreibt von lebenslangen Beziehungen zwischen Erwachsenen (im Gastmahl 192, über homosexuelle Paare: „sie bringen ihr ganzes Leben mit einander zu“). Der Exkurs Sex in der Umwelt des NTs (72–92) wurde für diese Auflage von 2024 (erste Auflage 2022) deutlich verbessert.
Fazit: Traichel vertritt beim Thema Homosexualität einen traditionellen Standpunkt: Homosexuelle Praxis ist aus biblischer Sicht abzulehnen. Durch seinen sachlichen Stil zeigt er, wie eine Auseinandersetzung bei diesem heiklen Thema angelegt werden kann. Sein Miteinbezug außerbiblischer Quellen und neuerer Sachbücher zum Thema erweitert den Horizont des Lesers.
Dr. Franz Graf-Stuhlhofer, BSc, ehem. Lehrbeauftragter an Hochschulen