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Stefan Kunz: Jesus Atmen

Stefan Kunz: Jesus Atmen. Die heilsame Kraft christlicher Meditation, Basel: Fontis Verlag, 2024, geb., 224 S., € 22,–, ISBN 9783038482833


Jesus Atmen: Die heilsame Kraft christlicher Meditation ist ein äußerst kreativer Titel. Doch was hat es mit „Jesus Atmen“ auf sich? Der evangelische Theologe, Pfarrer und Autor dieses Buches, Stefan Kunz, meint damit „bewusste Unterbrechungen unseres Alltags, die heilsam wirken. Es ist das regelmässige (sic!) ‚Es-gut-sein-lassen‘ in Gottes Namen, was unser Leben wieder ins Lot zu bringen vermag“ (13).

Stefan Kunz will mit diesem Buch die christliche Geschichte von Kontemplation und Meditation nicht nur Geschichte sein lassen, sie soll und darf auch in protestantischen und freikirchlichen Kreisen „Tradition“ werden und die gelebte Spiritualität mit einer neuen Art ergänzen. Dies erreicht Kunz, indem er nach einer Einleitung in einem ersten Hauptteil die christliche Meditation erklärt und sogleich sechs verschiedene Arten von Meditation aufzeigt (Natur-, Wort-, Schreib-, Musik-, Bild- und Lichtmeditation). In einem zweiten Hauptteil erläutert Kunz den Begriff und das Konzept der Kontemplation. Auch hier nutzt er sechs Wege, wie dies praktisch angegangen werden kann: Körperkontemplation, Atemübungen, Stille, Dunkelheit aushalten, Pilgern und schließlich das bekannte Jesus-Gebet (Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner). Das Buch schließt mit einem Ausblick und einem Hinweis auf Meditationen, welche auch per Audiodatei angehört werden können.

Ein besonderer Pluspunkt des Buches ist die durchgängig klare und einladende Struktur jedes Kapitels. Jedes Thema – sei es eine bestimmte Meditationsform oder eine kontemplative Haltung – wird entlang derselben fünf Schritte entfaltet: 1. Persönliche Erlebnisse: Der Autor beginnt mit eigenen Erfahrungen und lädt damit ein, sich auf das Thema nicht nur theoretisch, sondern ganz persönlich einzulassen. Diese Einblicke bleiben wohltuend unaufdringlich und eröffnen den Weg für Leserinnen und Leser, selbst Resonanzräume zu entdecken. 2. Biblische Grundlagen: Anschließend wird aufgezeigt, wie sich die jeweilige Meditations- oder Kontemplationsform im biblischen Zeugnis verankern lässt. Damit begegnet das Buch der verbreiteten evangelikalen Skepsis gegenüber stillen oder kontemplativen Praktiken mit einer fundierten, bibelbezogenen Argumentation. 3. Schätze aus der christlichen Tradition: In einem dritten Schritt öffnet der Autor den Blick für die geistliche Tradition. Er stellt Persönlichkeiten, Texte und Praktiken vor, häufig aus dem Bereich der christlichen Mystik, und macht deutlich: Die Meditation hat eine lange und tief verwurzelte Geschichte innerhalb der Kirche. 4. Heilsame Erfahrungen: Danach folgen Berichte von anderen Christinnen und Christen, die mit der jeweiligen Form der Meditation oder Kontemplation gute Erfahrungen gemacht haben. Diese Erfahrungsvielfalt ergänzt die biblische und historische Perspektive und macht Mut zur eigenen Erprobung. Als letzten Teil hat jedes Kapitel Übungen. Zum Abschluss gibt es konkrete Anleitungen. Die Texte sind einfach, praktisch und auch für Einsteiger verständlich. Manche Übungen sind für die stille Zeit allein gedacht, andere für Gruppen oder angeleitete Formen geeignet. Diese wiederkehrende Struktur gibt dem Buch Klarheit und Verlässlichkeit. Zugleich schafft sie einen sanften Rhythmus, der der kontemplativen Haltung entspricht, die sie vermitteln will. Sie macht das Buch auch zu einem idealen Begleiter für die eigene geistliche Praxis, sei es in der Stille, im Hauskreis oder in der geistlichen Begleitung.

Theologisch bleibt das Buch insgesamt auf einer elementaren Ebene. Zwar werden biblische Bezüge hergestellt und geistliche Haltungen wie Vertrauen, Geduld oder Hingabe betont, doch eine vertiefte theologische Reflexion auf Wesen und Praxis der Kontemplation im Licht der Bibel ist nur knapp dargestellt. Gerade für skeptische Leserinnen und Leser – etwa aus freikirchlich geprägten Kontexten, in denen Meditation rasch mit östlicher Spiritualität assoziiert wird – wären stärkere theologische Kommentare hilfreich gewesen. Die Verbindung zwischen kontemplativer Praxis und zentralen Themen des christlichen Glaubens (z. B. Theologie proper, Christologie und Pneumatologie) wird zwar angedeutet, aber selten systematisch entfaltet.

Jesus Atmen eignet sich besonders für Menschen, die ihre Spiritualität vertiefen wollen, sowie für Haupt- und Ehrenamtliche in der Gemeindearbeit, die neue Formen geistlicher Praxis suchen. Auch für Gruppen, Hauskreise oder persönliche Stille Zeiten ist es eine reiche Inspirationsquelle.


Joshua Ganz, Pastor und Armeeseelsorger, Winterthur, Schweiz