Altes Testament

Reinhard Junker (Hg.): Genesis, Schöpfung und Evolution

Reinhard Junker (Hg.): Genesis, Schöpfung und Evolution. Beiträge zur Auslegung und Bedeutung des ersten Buches der Bibel, studium integrale, Holzgerlingen: SCM Hänssler, 2015, geb., 253 S., € 14,95, ISBN 978-3-7751-5712-4

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Der vorliegende bibliophil gestaltete und dennoch sehr günstige Sammelband enthält 19 Beiträge von den sechs Autoren Walter Hilbrands, Reinhard Junker, Hendrik J. Koorevaar, Helge Stadelmann, Manfred Stephan und Henrik Ullrich. 2016 erschien eine fast unveränderte zweite Auflage. Viele Beiträge sind kurz gehalten, haben z.T. weniger als zehn Seiten und bieten einen leicht fasslichen Zugang zur Materie. Meinen Theologiestudenten habe ich das Buch daher bereits mehrfach ans Herz gelegt! Die leichte Fasslichkeit der einzelnen Beiträge ist freilich eine Schwäche im Gesamtaufbau, denn wer sich daran macht, den Band durchzulesen, wird auf Wiederholungen, ähnliche Grafiken für den gleichen Sachverhalt (z. B. Aufbauten von Gen 1) und ein paar – aber nicht gravierende – Unausgeglichenheiten zwischen den Autoren stoßen. Letztere aber trüben nicht den Gesamteindruck eines für die Verteidigung der historischen Glaubwürdigkeit von Gen 1–3 unverzichtbaren Werkes!

Inhaltlich geht es vor allem um die ersten drei Kapitel der Bibel, nur in einem Beitrag um die Bedeutung der sogenannten Post-Josephica für die Datierung der Genesis (219–240): Gen 12,6 (Kanaaniter damals im Land); 22,2 (Morija); 34,7 (Schandtat in Israel); ferner 13,10; 14,14; 36,31; 40,15; 50,10f. Koorevaar datiert das Buch auf 1407 v.Chr., ca. 360 Jahre nach dem Tod Josefs, anonym geschrieben im Auftrag Moses (238f, vgl. 135).

Die ersten sechs Beiträge befassen sich mit der Frage einer christlichen Adaptierbarkeit der Evolutionslehre. Junker und Ullrich zeigen die destruktiven Folgen einer (auch christlichen) Akzeptanz dieser Hypothese für das Verständnis des Menschen, der Schöpfung und Gottes auf (11–15). Unter anderem würde aus dem destruktivsten Faktor dieser Welt, dem Tod, biblisch die Folge der Sünde, ein kreativer Faktor, der erst die Fortentwicklung des Lebens möglich macht. Junker befasst sich vertieft auch mit dem Entwurf theistischer Evolution von Denis Alexander (bzw. der BioLogos-Foundation; 15–41). Dieser sieht Adam und Eva nicht als erste, aber als ausgewählte Menschen an, die Gott und seiner Offenbarung ungehorsam geworden seien; dies habe einen nur geistlichen Tod zur Folge gehabt, die Trennung von Gott. In einer detaillierten Auseinandersetzung erweist Junker die Unhaltbarkeit dieses Ansatzes. Das „Buch der Natur“ empfange hier am Ende einen so „kristallklaren“ Charakter, dass die Klarheit der Hl. Schrift demgegenüber zurücktreten muss, gerade wieder bei der Frage der Einordnung des Todes. Der gleiche – fleißige – Autor unterzog die Internetseite www.schoepfung-durch-evolution.de einer Analyse und Kritik (43–54). Auch hier tritt zutage, dass in der theistischen Variante der Evolutionshypothesen eine Umwertung von Sünde und Tod stattfindet, die typisch liberal-aufgeklärte Unterscheidung von Schale und Kern, letztlich ein Unweltlich-Werden von Glaube und Theologie. „Mit der historischen Grundlage verschwinden auch die Glaubensaussagen. Es ist in der Heiligen Schrift gerade wesentlich, dass die Dinge passiert sind, über die sie berichtet. Hier geht es nicht um Gleichnisse und Bilder, sondern um die Taten Gottes“ (52, Hervorhebung im Original). „Nichts Neues unter der Sonne“ ist der sprechende Untertitel der Fortsetzung der Auseinandersetzung mit theistischer Evolution (55–76). Es wird viel Aufwand getrieben, Darwins These vom blinden Uhrmacher mit der jüdisch-christlichen Vorstellung von Gott als Schöpfer zu harmonisieren. John G. West, auf den sich Junker (unter vielen anderen) bezieht, sieht bei den Befürwortern theistischer Evolution die alte Gnosis und einen epikureischen Materialismus wieder auferstehen. Die Gnosis wollte Gott aus seiner Verbindung mit der materiellen Schöpfung herauslösen; für die Bibel dagegen ist die Verbindung unlösbar durch Christus, dem Schöpfungsmittler, gegeben (Joh 1; Hebr 1; 11; Kol 1). Junker prägnant (mit West gegen Hansjörg Hemminger u. a.): „Ein Gott aber, der eine kosmische Lotterie in Gang setzt, damit Lebensformen entstehen und der irgendwann eine Art Jackpot mit einem geistbegabten Menschen gewinnt, ist sicher nicht der Gott, der sich in der Heiligen Schrift als Schöpfer offenbart“ (59). Überhaupt entleert sich ein auf den eingreifenden Schöpfer verzichtendes Reden von Schöpfung selbst. „Schöpfung durch Evolution“ ist dann keine Bereicherung, sondern letztlich ein Selbstwiderspruch (vgl. 74). Der große Strauß an Argumenten gegen eine theistische Evolution ist in unserer Zeit angesichts des Drucks des Mainstreams und der Angst vor dem Verdikt, unwissenschaftlich zu sein, von größter Bedeutung. Das Buch ist jedenfalls ein exzellenter Beitrag in der ganzen Debatte, so es denn wahrgenommen wird.

Manfred Stephan, geologischer Mitarbeiter der Studiengemeinschaft Wort und Wissen, untersucht ausgehend von Röm 8,19–22 kurz die Frage nach dem „Todesgeschick der Tierwelt“(77–80). Paulus beziehe sich zurück auf Gen 3,17: „um deinetwillen ist die Adamah verflucht“. Die Schöpfung ist vom Fall Adams mitbetroffen. Da capo: Die Urgeschichte berichtet von den Wechselwirkungen zwischen geistlichem und leiblichem Geschehen – was unter den Bedingungen der postulierten Evolutionsfaktoren schwierig wäre. Der Beitrag „Seit wann gibt es den Tod in der Tierwelt? Überlegungen zu Genesis 1–3 und Römer 8“ vom gleichen Autor (199–202) wäre besser mit seinem ersten zusammengeführt worden; die nicht erklärte Doppelung sieht nach einem Versehen aus.

Der zweite Teil des Bandes bietet 13 Studien zum Buch Genesis. Mehrere Beiträge bekräftigen die Geschichtlichkeit ihrer Berichte; einige befassen sich intensiv mit Struktur und Auslegung ihrer Texte.

Im Artikel „Die biblische Urgeschichte – wirkliche Geschichte“ von Stephan (83–90) wird Gunkel für die Feststellung der Eigenabsicht der Genesis in Anspruch genommen, wirkliche Geschichte zu berichten; doch passt m. E. die Abgrenzung Gunkels gegenüber „der (sic!) neuzeitlichen Bibelkritik“ nicht gut. Immerhin: Die historische Kritik (Zimmerli, von Rad, Ruppert, Witte) erkennt zwar den Eigenanspruch der Texte, wirkliches Geschehen in Raum und Zeit zu berichten (eingeschlossen sechs Schöpfungstage à 24 Stunden), auch wenn sie ihn nicht als normativ akzeptiert (ebenso die Listen von Hilbrands, 167f und 171). Im Bereich der evangelikalen Exegese ist es mitunter umgekehrt: Dort wird dieser Eigenanspruch bestritten, und das, was übrig bleibt, zählt als normativ! Ein paar Einzelheiten: Die Register von Gen 5 und 11 sind nicht unbegrenzt dehnbar; von Adam bis Abraham seien kaum mehr als 5000 Jahre zu schätzen (86f). Der Aufsatz von H. Stadelmann zu Weichenstellungen für eine heilsgeschichtliche Theologie (91–102), der auf Buchbeiträge der Jahre 1985 und 2005 zurückgeht, setzt sich mit neueren Dogmatiken auseinander und bekräftigt den 20. Artikel der Chicago-Erklärung (1982) von der Einheit aller Wahrheit, letztlich zum Lob Gottes. „Wenn Christen dieses Lob nicht anstimmen, wer dann?“ (102)

Zu den besten Beiträgen des Bandes gehören für mich diejenigen von Hendrik Koorevaar. Er nimmt zunächst die Frage nach dem Verhältnis der Literaturgattung zur Historizität des Schöpfungsberichts (103–128) bzw. des Paradiesberichts (129–150) in den Blick. Wenn er im Blick auf Jahwist und Priesterschrift von „der“ Hypothese der Quellenscheidung schreibt, klingt es etwas veraltet (103). Einleuchtend aber widerlegt er, dass man den Inhalt der Texte nicht qua literarisches Kunstwerk in eine abgehobene Sphäre verlegen kann, wo er keinem Wissenschaftler mehr weh tut (112f). Gegner sind hier u. a. Henri Blocher und D. Garrett (114f). Die schematische Darstellung nach David Watson (117) leuchtete mir nicht unmittelbar ein, um so mehr aber die Erklärung, bei Gen 1 handle es sich nicht um ein geozentrisches (auch nicht heliozentrisches), sondern ein geopunktuelles Weltbild: Die Beobachtungen geschehen aus einer Position auf der Erde und können so von Menschen aller Zeiten verstanden werden. Gen 2,4ff kann insofern nahtlos an 1,1ff anschließen; Information und Erlebnis der Schöpfung liegen auf der gleichen Ebene (118ff). Gott selbst verbindet sich (bei seinem Ruhen am Sabbat) mit unserer Zeit und steht nicht einfach darüber (119)! Ein für diesen Band unerwartet kraftvoller Abschnitt ist „Schöpfung, Theologie und geistliches Leben“; die akademische Diskussion wird hier durchsichtig für den Geisteskampf, in den jeder Leser der Schrift gestellt wird (125), ja der Evangelikalismus insgesamt (146–149)! Zu Gen 3 und zur Frage nach der Identität der Schlange tastet sich Koorevaar äußerst vorsichtig und feinsinnig voran, um nicht zuviel, aber auch nicht, um zu wenig zu sagen. Es geht ja um das Böse, das sich – schlangengleich – nicht befriedigend greifen lässt. Die Verbindung zu Mt 4,1–11; Röm 16,20 ist gleichwohl evident (144)! Hervorragend!

Hilbrands’ zehn Exegetische Thesen zu Gen 1 (151–164) erschienen bereits 2004 und wurden für den neuen Band leicht korrigiert. Anders als Koorevaar sieht er nur 10 Toledot. Die Schöpfungstage seien nicht unterschiedlich lang usw. All dies wird je knapp begründet. In „Der biblische Schöpfungsbericht in Genesis 1“ (165–179, erstmals 2009 publiziert) fasst Hilbrands die evangelikale Sicht auf das Kapitel erneut zusammen: Gattung, Tageslänge, religionswissenschaftliche Aspekte, mit einem Textauszug aus Enuma Elisch. „Die Länge der Schöpfungstage“ (181–189, Erstveröffentlichung 2011) und die Studie zu raqia (Lutherbibel: „Feste“; 191–194, zuerst ein Vortrag von 1996, dann Wort-und-Wissen-Diskussionsbeitrag 1/März 2001, was aber unerwähnt bleibt) fasst das Spektrum möglicher und tatsächlicher Bedeutungen der entsprechenden alttestamentlichen Begriffe in Gen 1,1–2,4 zusammen: Alles spreche dafür, von gewöhnlichen Kalendertagen auszugehen bzw. die Feste funktional als Himmel anzusehen. Die Deutung von Koorevaar als Atmosphäre (120) schien mir hierzu stimmiger.

Als besonderer intellektueller und geistlicher Glanzpunkt des Buches erscheint mir der Artikel „Der Aufbau des Buches Genesis und die literarisch-theologische Bedeutung der Entwicklungsformel Toledot“ (203–217). Hier wird die jahrzehntelange Arbeit an den 11 (!) Geschlechtsregistern der Genesis mit den Arbeiten an der Zyklenstruktur der Vätererzählungen gewissermaßen fusioniert. Als Hauptthese kann festgehalten werden, dass die Reihe Adam – Noah – Abraham – Jakob die theologische Hauptlinie des Handelns Gottes durch Menschen bildet, die berufen sind, Gottes Stimme Gehör zu geben (211). Anhand literarisch-theologischer Versuche von Christopher Wright, Siegbert Riecker und Walter Brueggemann kann dieser Aufbau noch luzide mit dem wiederkehrenden Thema Land/Erde verbunden werden. Exzellent!

Aus aktuellem Anlass hat der Hg. am Ende des Bandes eine Auseinandersetzung mit Siegfried Zimmer (ehemals Pädagogische Hochschule Ludwigsburg) angefügt: „Entmythologisierung für Evangelikale: Haben Adam und Eva wirklich gelebt?“ (241–251). Für Zimmer verweist das erste Wort der Bibel nicht auf einen zeitlichen Anfang, sondern auf einen „Grundsatz“, außerdem „Adam“ nur auf ein Kollektiv, nicht auch auf ein Individuum. Nach Zimmer wollen die ersten Kapitel der Bibel gar nicht tatsächliche Geschehnisse berichten. Junker hatte sich bereits früher damit auseinandergesetzt (s. www.wort-und-wissen.de). Im vorliegenden Artikel evaluiert Junker Zimmers „Haben Adam und Eva wirklich gelebt?“ Zimmers Position steht auf tönernen Füßen; er kann sich, abgesehen von der Bibel selbst, zum Teil nicht einmal auf die akademische Mehrheitsmeinung berufen, die ihm doch so wichtig ist. Sein Verständnis eines mangelnden antiken Interesses an geschichtlichen Veränderungen liest er in die Bibel hinein (246); das Interesse des Neuen Testaments an der Urgeschichte bzw. einem echten Anfang und einem individuellen Adam ist ihm gleichgültig (247). Akademisch gesehen, ist Zimmer eigentlich ein leichtgewichtiger Gegner. Schade, dass ihm dennoch so viele auf den Leim gehen! Junker schließt mit der klugen Ansage: „Zimmers Hinweis auf die existentielle Relevanz ist sicher berechtigt, aber der Verlust der Historie führt gerade zum Verlust der damit zusammenhängenden existentiellen Bedeutungen.“

Insgesamt kann man, wie eingangs gesagt, sehr dankbar für den Band sein, auch wenn es nicht der letzte zur Sache sein wird: Gut wäre z. B. noch eine genauere Auseinandersetzung mit John Walton gewesen, der in den letzten Jahren durch viele Publikationen und Vorträge seine Sicht von Gen 1 als einer antiken Kosmologie vertritt, die nicht interessiert gewesen sei am materiellen Zustandekommen der Welt, sondern an ihrem Funktionieren, also weniger vergangenheits- als gegenwartsbezogen denke (vgl. aber Koorevaar, 119f). Noch zwei Hinweise zum Layout: Zur Orientierung beim Blättern wäre es hilfreich, den Platz der Kopfzeilen mit Autor/Titel zu belegen: Der Band bietet nur die Seitenzahl und einen leeren Strich. Hebräische Texte werden nur teilweise in Umschrift dargeboten (vgl. 120f gegen 212f); immerhin: in der Regel für Nichthebräer auch in Übersetzung.

 

Pfr. Dr. Stefan Felber, Dozent für Altes Testament am Theologischen Seminar St. Chrischona
 

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