Historische Theologie

Frank Jehle (Hg.): „Ain christliche Underwisung der Jugend im Glouben“

Frank Jehle (Hg.): „Ain christliche Underwisung der Jugend im Glouben“. Der St. Galler Katechismus von 1527, Zürich: TVZ / St. Gallen: VGS, 2017, geb., 85 S., € 17,90, ISBN 978-3-290-17927-4 und 978-3-7291-1164-6

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Der Heidelberger Katechismus von 1563 ist in den calvinistischen Kreisen Deutschlands und der Schweiz die am weitesten verbreitete Zusammenfassung der reformierten Glaubenslehre im Reformationszeitalter. Der Verdrängungseffekt des „Heidelbergers“ (47) hat – wie auf lutherischer Seite des Kleinen Katechismus Luthers – dazu geführt, dass auch mehrfach neu aufgelegte (47f) frühere Katechismen heute wenig bis gar nicht mehr bekannt sind (vgl. Ferdinand Cohrs: Die Evangelischen Katechismusversuche vor Luthers Enchiridion, MGP 20–23 u. 39, 5 Bde, Berlin, 1900 bis 1907, Neudr. Hildesheim, 1978).

Frank Jehle, Universitätsprediger und Theologiedozent im Ruhestand, hat mit der Neuedition des St. Galler Katechismus von 1527 eine der ganz frühen Glaubensunterweisungen für die Jugend der Vergangenheit entrissen. Besonders bei Waldensern und Böhmischen Brüdern gab es schon vor der Reformationszeit vergleichbare Beispiele religiöser Erziehung (14, vgl. 82). Doch erst mit Beginn der Reformation wurde christliche Volksbildung zu einem kirchlichen Hauptthema. Der Herausgeber war beim Abtippen des Originals immer mehr gefesselt: „Ich fing an zu staunen, zuerst über die umfassenden Bibelkenntnisse seiner Verfasser, dann auch über ihre hohe theologische Bildung“ (82)

Der Inhalt des gediegen ausgestatteten Taschenbuchs ist zweigeteilt: Auf die Einleitung des Herausgebers Frank Jehle (7–48) folgt die Edition des Katechismustextes (51–80), versehen mit einer knappen „persönlichen Nachbemerkung“ (81–85). Der St. Galler Katechismus von 1527 gehört wie die Katechismen der Waldenser und Böhmischen Brüder zu den analytisch aufgebauten Katechismen (16), die nicht von den einzelnen katechetischen Themen, sondern vom Christsein als grundlegender Leitfrage ausgehen. Dies hat beim Text von St. Gallen allerdings nicht zu einem klaren inhaltlichen Aufbau geführt, so ist die Lehre von der Taufe seltsam isoliert nachgestellt (vgl. 28, 84).

Schon 1525 gab es in Zürich einen später mehrfach nachgedruckten „Wandkatechismus“ als Plakatdruck (17–20). Die Glaubensinhalte des St. Galler Katechismus war für neun- bis fünfzehnjährige Kinder gedacht, die an Sonntagnachmittagen behandelt und von den Eltern vorher zu Hause den Kindern vermittelt werden sollten (24).

Der St. Galler Katechismus wurde sehr wahrscheinlich von Domini Zili nach dem Vorbild des Katechismus der Böhmischen Brüder redigiert. Zili hatte als St. Galler Lehrer noch weitere städtische Ämter inne (25). Auffallend ist die kinderfreundliche Ausrichtung des Textes, die sich schon auf dem Titelblatt zeigt: Hier ist programmatisch Epheser 6,4 abgedruckt! (26f)

Die Edition des Urtextes zeigt die reformierte Grundausrichtung des Katechismus, dessen Theologie der Herausgeber in seiner Einleitung zusammenfassend darstellt (30–47).

Bei der Lektüre fällt auf, dass in den Fragen von Marienfrömmigkeit und Heiligenverehrung nicht nur die damalige katholische Position kritisiert wird („Abgötterei“, 65f), vielmehr wird auch das positive Vorbild von Maria und der Heiligen herausgearbeitet (67f). Das Bilderverbot impliziert, dass auch Christus nicht im Bild angebetet werden soll (68, Nr. 62). Diese Aussage bildet eine Brücke zur Verwerfung der römisch-katholischen Abendmahlspraxis, in der das Sakrament angebetet wurde (68f). Dagegen wird herausgestellt, dass Christus jetzt „wesentlich“ zur Rechten seines Vaters im Himmel sitzt, also nicht hier auf Erden angebetet werden kann (70). Beim Abendmahl soll der teilnehmende Christ fest glauben, dass das, was die Einsetzungsworte verheißen, auf Golgatha geschehen ist (69, Nr. 64). – Ähnlich betont der Taufartikel die Distanz zwischen den Elementen und ihrem geistlichen Gehalt: Getauft wird zur Buße (78, Nr. 78); nicht das Wasser reinigt, sondern das Blut Christi reinigt von Sünden (78, Nr. 80 und 81).

In seiner persönlichen Nachbemerkung stellt Jehle fest, dass sich Forscher bereits im 19. Jahrhundert intensiv mit dem St. Galler Enchiridion beschäftigt haben. „Sie leisteten eine gute Arbeit. Man kann fast nichts Neues herausfinden. Der wissenschaftliche ,Fortschritt‘ besteht offenbar oft darin, dass die von früheren Generationen erarbeiteten Resultate wieder in Vergessenheit geraten“ (82). Die Reformation in der Schweiz war beim Erscheinen des Katechismus erst drei bis vier Jahre alt, aber die Tauf- und Abendmahlslehre, die später „reformiert“ genannt werden sollte, ist bereits voll ausgebildet (83). Die Sakramente werden in erster Linie als Verkündigungshandlungen und nicht als heilsnotwendig verstanden (ebd.). „So spröde der St. Galler Katechismus auf den ersten Blick wirken mag, er ist ein lesenswertes Dokument. In einem Wassertropfen spiegelt sich die Welt. Wenn ich noch an einer Universität tätig wäre, würde ich eine Lehrveranstaltung über das unscheinbare Büchlein ins Vorlesungsverzeichnis aufnehmen“ (85). – Diesem Wunsch des Herausgebers kann man sich nur anschließen! Allerdings würde das Büchlein sicher eine weitere Verbreitung, finden, wenn eine Übersetzung ins heutige Deutsch beigefügt worden wäre – das hätte den Herstellungs- und Verkaufspreis nur wenig in die Höhe getrieben. Oder sollen wir uns in Zukunft damit abfinden, dass doch nur noch Spezialisten den Katechismus lesen?

Pfarrer Dr. Jochen Eber, Margarethenkirche Steinen-Höllstein, Redakteur des Jahrbuchs Biblisch erneuerte Theologie