Historische Theologie

Sara Aebi: Mädchenerziehung und Mission

Sara Aebi: Mädchenerziehung und Mission. Die Töchterpension der Herrnhuter Brüdergemeine in Montmirail im 18. Jahrhundert, Beiträge zur historischen Bildungsforschung 48, Köln/Weimar/Wien: Böhlau, 2016, Pb., 426 S., € 65,–, ISBN 978-3-412-50358-1

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Das Schlösschen Montmirail (La Tène, Kanton Neuenburg) unweit vom Neuenburger See ist durch die 1988 gegründete Kommunität Don Camillo in der Schweiz und darüber hinaus bekannt. 1722 hatte die Familie von Wattenwyl das Anwesen erworben. Friedrich von Wattenwyl wollte auf Anregung von Nikolaus von Zinzendorf in Montmirail hugenottische und waldensische Glaubensflüchtlinge ansiedeln; diesem Projekt war aber nicht langfristig Erfolg beschieden.

Deshalb eröffnete hier 1766 das erste Mädcheninternat der Herrnhuter Brüdergemeine in der Schweiz. Die Institution schrieb eine archivalisch vor allem in Herrnhut gut dokumentierte Erfolgsgeschichte; sie hat jetzt das spezielle Interesse der Erziehungswissenschaft auf sich gezogen. Sarah Aebi hat die Quellen aus dem 18. Jahrhundert in ihrer vorliegenden Dissertation erstmals in größerem Umfang ausgewertet (31). Die Forscherin ist vorwiegend an den konkreten Schulprofilen von Institutionen des 18. Jahrhunderts interessiert (38). Im Vergleich von Montmirail mit ausgewählten Profilen anderer, vorwiegend protestantischer schweizerischer Mädchenschulen im gleichen Zeitabschnitt ergibt sich ein Überblick über die damaligen Bildungsmöglichkeiten für Mädchen, die über die schulische Elementarbildung hinausgingen (39).

Im ersten Teil ihrer Untersuchung (Einleitung, 9–40) stellt die Verfasserin die Herrnhuter Brüdergemeine in der Schweiz vor. Sie führt in ihre Fragestellungen und Quellen ein, gibt einen Überblick über den Stand der Forschung und erläutert den Aufbau der Arbeit.

Der zweite Teil widmet sich dem „pädagogischen Kontext“ des Mädcheninternats in zwei Richtungen: Zuerst wird das Thema „Erziehung in der Herrnhuter Brüdergemeine im 18. Jahrhundert“ dargestellt (41–71) und dann anhand verschiedener Schulprofile die schweizerische Mädchenbildung im gleichen Zeitraum (71–130).

Von Zinzendorfs Christozentrik ausgehend war es selbstverständlich, dass der Menschgewordene und seine Kindheit zentral für die Erziehung waren: „Jesus sollte also zum besten Freund der Kinder werden, ihr Vertrauter sein“ (67), das Bekehrungserlebnis ist notwendiger Bezugspunkt der Pädagogik (68). Die zukünftigen Familienpflichten prägen in der Mädchenerziehung die Inhalte des aufklärten wie auch des pietistischen Fächerkanons (41, 71). Die französischsprachige Schweiz war beliebt, weil die Kinder dort darüber hinaus die Fremdsprache lernen konnten (72–79, vgl. 147 bei Anm. 78). Neben den allgemeinbildenden und speziellen hauswirtschaftlichen Themen stand Französisch aber fast durchgehend auf dem Lehrplan auch der in der deutschsprachigen Schweiz gelegenen von Aebi untersuchten Mädchen-Bildungsinstitute in Zürich, Basel, Aarau, Bern, Ftan und Luzern, ebenso Charakterbildung und in unterschiedlichem Umfang Religionsunterricht (vgl. 85, 130).

Im Hauptteil ihrer Dissertation (Teil 3, 131–373) untersucht Aebi das Institut von Montmirail anhand von fünf Leitfragen: Absicht und Strategie von Gründung und Leitung des Instituts (135–172), die Schülerschaft (173–190) sowie das Bildungsangebot und den Schulbetrieb (190–246). Anschließend vergleich sie die Ausbildung von Montmirail mit ähnlichen zeitgleichen Angeboten für Mädchen in der Schweiz (246–253) und veranschaulicht im langen Abschnitt 3.5 über Methoden und Bilanzen der Umsetzung des missionarischen Bildungsangebots von Montmirail (254–373).

Wattenwyl wollte mit der „Diaspora-Mädgen-Anstalt“ (145) die Mädchen vor der „Versuchung der jetzigen bösen Welt“ bewahren und ihnen den „Weg zum Heiland“ zeigen (138, vgl. 155). Der Heidelberger Katechismus wurde für die religiöse Erziehung der Kinder vorgeschlagen (148, 150); aber aus späterer Perspektive ist festzustellen: „In der Töchterpension in Montmirail trat denn auch die Bedeutung des Religionsunterrichts weit hinter die religiöse Erziehung in der Gemeinschaft zurück“ (150). Mit seiner Ausrichtung auf das zu fördernde Reich Gottes legitimierte Montmirail seine Verortung im Missionswerk der Brüdergemeine (157). Wegen Unterbelegung wurde zeitweise auch eine – nie realisierte – Knabenpension geplant (171).

Die Schülerschaft des Instituts war heterogen (173), Schülerinnen aus der Schweiz überwogen zahlenmäßig (178). Zwischen 1766 und 1800 kamen die meisten kamen aus Basel, nämlich 82, etwa knapp die Hälfte jeweils aus Bern und Zürich, 24 bis zu 14 Mädchen kamen aus Schaffhausen, Aarau, Neuchâtel, Lenzburg, Genf und Yverdon – vermutlich (eher unsicher: 186) überwiegend aus den Orten, an denen Herrnhuter lebten (180).

Zum Bildungskanon der Schülerinnen wurden neben auch heute noch üblichen Schulfächern auch Dinge wie „ordentliche Briefe schreiben“ (197), Klavierunterricht, Singen sowie die hauswirtschaftlichen Fächer vorgeschlagen (200, 218ff). Auch Bewegung und Erholung waren eingeplant (214ff). Die Schülerinnen mussten im Institut mithelfen (226f). Verglichen mit zeitgenössischen Bildungsinstitutionen gibt es in Montmirail „keine grundsätzlichen Unterschiede“ (247). „Der missionarische Anspruch und die pietistische Prägung waren es, welche die Töchterpension der Herrnhuter Brüdergemeine am deutlichsten von anderen Bildungsinstitutionen in der reformierten Schweiz unterscheiden“ (252).

Bewahrung vor negativen Einflüssen und religiöse Erziehung sind die beiden hervorgehobenen Elemente des Erziehungsziels von Montmirail (254). Es wurde abgelehnt, Tanzunterricht zu geben (268f), wenn auch nicht jede Form von Spielen untersagt war (272). Es gab regelmäßig Rechenschaft über den Erfolg der religiösen Erziehung (275). Katechesen legten den Heidelberger und andere lokale Katechismen zugrunde (280f, 282f). Die Schülerinnen wurden auch auf ihre Konfirmation vorbereitet (285ff). Neben Jesus wird auch Maria im Unterricht als Vorbild vorgestellt (298). Erbauliche Hausversammlungen gab es in großer Zahl (304–309), dazu kam das, was man heute Mentoring-Gespräche nennen würde (309f) – alles zielte auf die Herzensfrömmigkeit. Versbücher und Stammbücher dokumentieren bis heute Frömmigkeit und Freundschaft unter den Pensionstöchtern (312ff). Die positiven Wirkungen der Erziehung in herrnhutischen Geist brachte es mit sich, dass Absolventinnen sich der Herrnhuter Gemeine anschlossen (337) und zu Multiplikatorinnen wurden (340f). – Diese Hinweise auf die Erziehungsarbeit in Montmirail müssen angesichts des begrenzten Umfangs dieser Rezension genügen!

Das Resümee (Teil 4, 375–385) fasst den Ertrag der umfangreichen Untersuchung zusammen: Die Brüdergemeine hatte mit Montmirail „in der Schweizer Bildungslandschaft eine Nische gefunden – ein bürgerlicher Bildungskanon in einem pietistisch geprägten Umfeld –, dank der ihr nicht nur Schülerinnen, sondern auch Seelen zugeführt wurden“ (384). Ein ausführliches Verzeichnis der verwendeten Quellen und Literatur (387–419) sowie ein Personenregister (421-426) beschließen den Band.

Sarah Aebig hat mit ihrer Dissertation über Montmirail eine quellengesättigte und in der Sekundärliteratur kundige Untersuchung vorgelegt. Aufgrund der Fülle des aufbereiteten und im Text zitierten ungedruckten und gedruckten Quellenmaterials ist die Arbeit eine Fundgrube – nicht nur für Pädagogen, sondern auch für die Pietismusforschung und vielleicht auch andere Christen, die an Fragen von Frömmigkeit und Erziehung interessiert sind. Es ist der Monographie zu wünschen, dass sie über Spezialistenkreise und die Herrnhuter Brüdergemeine hinaus weite Verbreitung findet!

Pfarrer Dr. Jochen Eber, Margarethenkirche Steinen-Höllstein, Redakteur des Jahrbuchs Biblisch erneuerte Theologie