Christoph Raedel: Organspende?
Christoph Raedel: Organspende? Christliche ethische Entscheidungshilfen, Gießen: Brunnen, 2019, Pb., 96 S., € 9,95, ISBN 978-3-7655-4345-6
Nicht nur angesichts der gegenwärtigen Debatte um eine gesetzliche Neuregelung der Organtransplantation ist das von Christoph Raedel vorgelegte Buch zum Thema „Organspende“ hochaktuell. Auch die regelmäßige schriftliche Bitte der Krankenkassen, sich mit der eigenen Bereitschaft zur Organspende auseinanderzusetzen, und nicht zuletzt die gelegentliche Konfrontation mit der Thematik im Bekanntenkreis oder gar familiären Umfeld fordern zu einer persönlichen Urteilsbildung auf. Vor diesem Hintergrund versteht sich das vorliegende Buch als Hilfe und Anstoß, „eine informierte Entscheidung zu treffen“ (7). Dabei ist es dem Verfasser gelungen, die für eine begründete Urteilsbildung wesentlichen sachlichen Informationen und ethischen Kriterien – nicht zuletzt auch aus biblisch-theologischer Perspektive – auf nur knapp hundert Seiten fundiert und doch allgemeinverständlich bereitzustellen, ohne sich in Detailfragen zu verlieren. Neben der unumgänglichen Diskussion des Hirntodkriteriums bietet das Buch bemerkenswerte und weiterführende Gedankenanstöße. Dazu gehört der Hinweis, dass die künstliche Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen keine wirkliche Lebensverlängerung bedeutet, sondern lediglich eine Aufspaltung des Todes, die den besonderen medizinischen Erfordernissen der geplanten Organspende geschuldet ist. Dem oft unreflektierten Automatismus von medizinischem Angebot und Inanspruchnahme durch die Patienten wehrt der Verfasser mit dem entlastenden Gedanken, dass vor dem Horizont der Begrenztheit des menschlichen Lebens und der Auferstehungshoffnung auch der Verzicht auf ein Ausreizen der medizinischen Möglichkeiten eine verantwortliche und zu respektierende Entscheidung sein kann. Auch ist gegenüber einer einseitigen Betonung des Selbstbestimmungsrechtes die Einbettung des Menschen in ein soziales Beziehungsfüge zu beachten, so dass auch mögliche Auswirkungen der Organentnahme auf Angehörige (z. B. Unterbrechung des Prozesses des Abschiednehmens) zu berücksichtigen sind. Nicht zuletzt erinnert der Verfasser daran, dass gerade der Begriff der Organspende sich gegen jede Deutung als Bringschuld sperrt, sondern – auch als Akt der Nächstenliebe – Freiwilligkeit impliziert. Deshalb möchte das Buch nicht fertige Antworten vorgeben, sondern zur eigenen Meinungsbildung anregen. Dabei ist sich der Verfasser bewusst, dass die Frage der Organspende unausweichliche Spannungen birgt, die sich nicht in ein eindeutiges Richtig oder Falsch auflösen lassen. Vielmehr geht es darum, dass Christen in dieser Frage „unter dem Zuspruch der Vergebung Christi verantwortlich handeln sollen und können“ (81). Alles in allem eine kompakte Handreichung zu einer komplexen Materie, die nicht nur persönlichen Gewinn verspricht, sondern sich auch zur Weitergabe eignet und im Sinne einer „Schneise“ durchaus auch für die Fachdiskussion interessant sein dürfte.
Pfr. Dr. Wilfried Sturm, Professor für Systematische Theologie in pastoraler Praxis an der Internationale Hochschule Liebenzell