Historische Theologie

Ruth Albrecht (Hg.): Begeisterte Mägde

Ruth Albrecht (Hg.): Begeisterte Mägde. Träume, Visionen und Offenbarungen von Frauen des frühen Pietismus, Edition Pietismustexte (EPT) 10, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2018, kt., 264 S., € 16,80, ISBN 978-3-374-04785-7

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„Begeisterte Mägde“ war die Bezeichnung für zunächst drei Frauen aus pietistischen Kreisen in Halberstadt, Erfurt und Quedlinburg, die in den 1690er Jahren durch ekstatische Erfahrungen bekannt wurden. Doch nicht nur diese drei Frauen, sondern ebenso Frauen wie Johanna Eleonora Petersen und Rosamunde Juliane von der Asseburg erfuhren in dieser Zeit „Träume, Visionen und Offenbarungen“, die von ihnen selbst oder von schreibkundigen Männern aufgezeichnet, verbreitet und diskutiert wurden. Der vorliegende Quellenband aus der Reihe „Edition Pietismustexte“ widmet sich diesen Phänomenen. Ruth Albrecht hat hier eine feine Auswahl einschlägiger Quellentexte (mit Wort- und Sacherklärungen in den Anmerkungen) zusammengestellt (7–204), editorisch kommentiert (205–222) und abschließend (223–240) in die zeitgenössischen Diskurse des frühen Pietismus eingeordnet.

Angesichts solcher persönlicher Offenbarungserfahrungen von Frauen verbanden sich im 17. Jahrhundert zwei Diskussionen, die darüber, ob Gott sich auch noch gegenwärtig direkt Personen offenbare, und die darüber, wie diese visionären und ekstatischen Erfahrungen von Frauen theologisch und auch medizinisch-naturwissenschaftlich beurteilt werden müssen. Die Quellenauswahl berücksichtigt beide Diskurse und beginnt mit einem Auszug aus der Berleburger Bibel (erschienen 1726–1742) zur Geistausgießung nach Joel 3,1–2, der eine gegenwärtige Geistausgießung nicht ausschließt (Teil A; 7–10). Zwei Beispiele von weiblichen Visionen und Offenbarungen aus dem 17. Jahrhundert (Benigna Königs, Anna Vetter) (Teil B; 11–22) zeigen, dass auch vor der pietistischen Diskussion der 1690er Jahre übernatürliche Offenbarungen an Frauen überliefert sind. Der größte Teil der Quellen sind aber Zeugnisse von Offenbarungen im frühen Pietismus und von deren Diskussion durch Pietisten und ihre Gegner. So wird zunächst ein Einblick in die „Träume“ von Johanna Eleonora Petersen und die Offenbarungen der mit dem Ehepaar Petersen eng verbundenen Rosamunde Juliane von der Asseburg gegeben (Teil C; 23–86). Während es sich hier um Frauen aus der höheren Gesellschaftsschicht handelte, gehörten die „begeisterten Mägde“, Magdalena Elrichs, Katharina Reinecke und Anna Maria Schuchart, der unteren sozialen Schicht an, arbeiteten als Dienstboten in pietistischen Haushalten und hatten dort ekstatische Erfahrungen und prophetische Eingebungen. Von ihren Erfahrungen gibt die 1692 im Druck erschienene „Nachricht von dreyen Begeisterten Mägden“ Zeugnis. Sie ist hier fast vollständig abgedruckt, ebenso die innerpietistische und zeitgenössische Diskussion über die drei Frauen (Teil D; 87–180). Innerhalb von pietistischen Kreisen wurden diese außergewöhnlichen Gotteserfahrungen in den 1690er Jahren kontrovers diskutiert und einerseits zurückhaltend (so von Ph. J. Spener), andererseits als Zeichen der mit dem Tausendjährigen Reich anbrechenden Heilszeit wohlwollend betrachtet und als göttliche Zeichen akzeptiert, wie dies Johann Wilhelm Petersen rückblickend zusammenfasst: „etliche wären von der Göttlichkeit überzeuget, etliche aber nicht“ (85).

Für die Gegner des Pietismus, wie z. B. den konservativen Lutheraner Johann Heinrich Feustking, boten die visionären und ekstatischen pietistischen Frauen Munition für ihre Polemik gegen die Bewegung. So spiegelt die letzte hier edierte Quelle auch den „polemischen Nachklang“ (Teil E; 181–204) mit einem Auszug aus Feustkings Schrift „Gynaeceum Haeretico-Fanacticum“ aus dem Jahr 1704, in der Feustking eine „falsche Prophetin“ nach der anderen nennt und beurteilt. Feustking ist es auch, der Offenbarungs- und Frauen-Diskurs zusammenführt und gleichermaßen verurteilt: „Zwar meinen die begeisterte Weiber mit ihren Offenbahrungs-Patronen / GOtt werde solche extraordinaire Offenbahrungen der Weiber noch ohnfehlbar ergehen lassen / weil die Weissagung Joels […] noch nicht erfüllet […]. Allein sie irren und wissen die Schrifft nicht“ (186).

Angesichts von Feustkings Gegenposition hätte sich der Leser vielleicht als Kontrapunkt noch einen Auszug aus Ph. J. Speners Schrift „Theologische Bedencken“ gewünscht mit seiner nüchtern abwägenden Argumentation. Andererseits ist Speners Text leicht zugänglich, was nicht für alle hier edierten Texte gilt, neben autobiographischen Zeugnissen auch Briefe, juristische Dokumente und Auszüge aus Zeitschriften der 1690er Jahre. Weitere zeitgenössische Literatur stellt die Herausgeberin in den „Editorischen Notizen“ (205–222) vor, in denen sie auch in die einzelnen Quellen einführt. Im „Nachwort“ (223–240, anschließend Bibliographie sowie Bibelstellen- und Personenregister, 241–258) ordnet Albrecht die Ereignisse der 1690er Jahre ein und zeigt dabei Verbindungen und Netzwerke der Pietisten, an denen auch Frauen aktiv beteiligt waren. Albrecht weist darauf hin, dass der Pietismus Frauen „neue Räume, die einem religiös konnotierten Verständnis unterlagen“ (227), eröffnete, dass aber diese „von den frühneuzeitlichen Dichotomien bestimmt“ blieben, „indem das Feld der intellektuellen theologischen Lehrbildung den Männern vorbehalten war und Frauen mehr oder minder auf das Gebiet der Ausgestaltung von Frömmigkeitspraktiken verwiesen wurden“ (227). Die Frage der Beurteilung von außergewöhnlichen Frömmigkeitsäußerungen benennt Albrecht abschließend als Forschungsdesiderat: „Die Beurteilung visionärer Äußerungen und prophetischer Ansagen stellt eine bleibende Herausforderung dar; in diesem Band wird ein kleiner Ausschnitt einer Debatte der 1690er Jahre vorgelegt, deren Interpretation weiterhin als nicht abgeschlossen gelten kann“ (240).

Wie bei jedem Band der „Edition Pietismustexte“ gilt auch für diesen: solide erarbeitet, preislich erschwinglich und zur Lektüre empfohlen!

Prof. Dr. Ulrike Treusch, Professorin für Historische Theologie an der Freien Theologischen Hochschule Gießen