Historische Theologie

Martin Chemnitz: Handbuch der vornehmsten Hauptteile der christlichen Lehre

Martin Chemnitz: Handbuch der vornehmsten Hauptteile der christlichen Lehre. Durch Fragen und Antworten aus Gottes Wort einfach und gründlich erklärt … Mit einer Einführung von Wolfhart Schlichting, Bibliothek lutherischer Klassiker 1, geb., 204 S., € 14,80, ISBN 978-3-946083-32-0


Martin Chemnitz (1522–1586) wird als altprotestantischer theologischer Lehrer besonders in der Lutherischen Kirche Missouri Synod in den USA in Ehren gehalten. Im Concordia Publishing House sind elf Bände gesammelte Werke des Braunschweiger Theologen lieferbar.

Mit dem vorliegenden Handbuch der vornehmsten Hauptteile der christlichen Lehre ist nun ein wichtiges Überblickswerk dieses bedeutenden Theologen der Generation nach Luther in modernisiertem Deutsch erhältlich. Das Handbuch ist 1569 entstanden (vgl. Inge Mager in: Der zweite Martin der Lutherischen Kirche. Festschrift zum 400. Todestag von Martin Chemnitz, hg. von Wolfgang A. Jünke, Braunschweig, 1986, 157), kurz darauf in lateinischer Übersetzung von Johannes Zanger (1571). In einer überarbeiteten Version erschien der Text 1574, eine weitere Auflage gab es 1579 (vgl. Festschrift, 384), auf dieser basiert die vorliegende Neuausgabe. Im 18. und weitgehend auch im 19. Jahrhundert ist kein Nachdruck des Handbuchs nachweisbar, bis dann August L. Gräbner 1886 in den USA die deutschsprachige Auflage neu setzen und drucken ließ (Milwaukee: Brumder, 1886, Festschrift, 384). Vielleicht ist die Bedeutung dieses Werkes aus der Zeit der Spätreformation aufgrund dieser Neuauflage bis in die Gegenwart im Bewusstsein geblieben.

Das Handbuch wurde als Grundlage für die Zulassungsprüfung zur Ordination der Pfarrer und für den halbjährlichen (!) Nachweis der dogmatischen Grundlagen amtierender Pastoren im Rahmen von Visitationen verwendet (Schlichting, Einführung, 13). Der katechetischen Zielsetzung des Werks entspricht seine praktisch orientierte Sprache, die Fachbegriffe und detaillierte Streitfragen seiner Zeit weitgehend vermeidet. Im Frage- und Antwort-Stil von Luthers Katechismus werden die theologischen Themen aufgeschlüsselt und ihre biblischen Begründungen erfragt. Beim Thema „Erbsünde“ sagt Chemnitz beispielsweise über die damaligen Fachbegriffe: „Weil die in der Philosophie und Dialektik verwendeten Worte Substanz und Akzidenz dem normalen Menschen unbekannt sind und nicht so einfach erklärt werden können, soll die Kirche mit solchen Schulworten verschont werden“ (65).

Seiner pastoralen Aufgabe entsprechend stellt Chemnitz Leitgedanken zu Beruf, Berufung und Ordination des Geistlichen, dessen Aufgabe im Spannungsfeld von staatlicher Obrigkeit und kirchlicher Arbeit steht, voran. Wort Gottes (36f), Heilige Schrift (38f) und Überlegungen zum „rechten alten Glauben“ (40–42) sind dem Themenkreis des Predigtamts zugeordnet (20–45).

An dieses – bis auf die Schriftlehre – eher untypische Einstiegsthema schließt sich der dogmatisch-ethische Hauptteil an (46–190). Die Themen sind in den theologischen Rahmen eingefügt, den die Summarien der Botschaft von Jesus, Johannes dem Täufer und Paulus vorgeben: Buße zu tun, Vergebung und den Glauben zu empfangen, aus dem gute Werke kommen sollen (45): Gotteslehre (46), Buße, Gesetz und Zehn Gebote (48–57), Sünde (58–68), Reue (69f), freier Wille (70–73), Evangelium (74–79), Rechtfertigung (80–82), Glauben (83–93), ewige Vorsehung (ausführlich!, 94–108), gute Werke (109–117), Todsünden und alltägliche Sünden (118–121), Sünde gegen den Heiligen Geist (122–126), Sakramente „im Neuen Testament im Allgemeinen“ (127–130) und dann speziell als Taufe (131ff, Kindertaufe 137–142) und Abendmahl (ebenfalls ausführlich, 143–158), Beichte und Absolution (159–164), „Vom rechten und wahren Gebet“ (165–173), Heiligenanrufung (174–177), Ehe und Priesterehe (178–181), Kirche (182–185), Jüngstes Gericht und Fegfeuer (186–190). Das Buch schließt mit Anmerkungen und Registern, die für diese Auflage neu erstellt wurden (191–203).

Bei der Lektüre des Buchs entdeckt der Leser viel Klärendes, zum Beispiel über das Priestertum aller Gläubigen, das jedoch keine Berufung zum Predigtamt ist (23). Nicht jede private Erscheinung begründet die pastorale Berufung (26). Ein Pastor soll das Wort Gottes predigen, nicht seine eigenen Träume oder Gedanken (36). Es kann nicht „jeder in seiner Religion und seinem Glauben – ohne das Wort Gottes – wenn er es gut meint, selig werden“ (37). Pfarrer sollen täglich im Alten und Neuen Testament lesen (42, Anklang an Luther: Oratio, meditatio und tentatio sind eine rechte Weise, Theologie zu studieren, WA 50, 659, 4). Wie der lutherische Pietismus bestätigt schon Chemnitz, dass Getaufte ewig verloren gehen können, wenn sie nicht umkehren und wieder mit Gott versöhnt werden (Von der „Todsünde“, 118).

Das Buch macht einen bibelgesättigten Eindruck; der Verfasser will die biblische Begründung der in den lutherischen Kirchen geltenden Lehren nachweisen. Für den Leser ist neben dogmatischem Interesse auch Grundwissen der damaligen Zeit und theologischer Themen von Vorteil. Manchmal wären zusätzliche erklärende Anmerkungen nötig gewesen, etwa bei Verweisen auf Melanchthons „Examen“, wenn Melanchthons Werk nicht direkt im Text zitiert wird, aber auch auf bei Hinweisen auf Kirchenväter und Gruppierungen der Alten Kirche. Bei einem historischen Dokument wie diesem kann der Leser auch nicht erwarten, dass der Autor zum Bsp. in Fragen der Kritik täuferischer und römisch-katholischer Lehren im Horizont heutiger politischer Korrektheit denkt oder nach dem gegenwärtigen Stand ökumenischer Gespräche urteilt.

Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht möglich, die Gedanken von Chemnitz mit Klassifizierungen, die nicht aus seiner Epoche, sondern aus einer späteren Zeit stammen, als „konservativ“, „bibeltreu“, „fromm“ oder „evangelikal“ zu bezeichnen. Wahrscheinlich würden ihn seine Gegner heute in die entsprechenden Schubladen einordnen. Bei der von den Jahrhunderten unabhängigen Suche nach einer angemessenen Ausdrucks- und Lehrform der biblischen Wahrheit helfen entsprechende Versuche nicht weiter.

Abschließend sei Herrn Professor Dr. Thomas Kothmann als dem Herausgeber der neuen Reihe Bibliothek lutherischer Klassiker dafür gedankt, dass er – aktiv unterstützt von Tilman Pfuch und Alexander Schneider – das Handbuch von Martin Chemnitz neu und zu einem erschwinglichen Preis herausgebracht hat. Als zweiter Band erschien 2019 im Freimund-Verlag der umfangreiche Band Johann Gerhards „Von der Heiligen Schrift“.


Pfarrer Dr. Jochen Eber, Margarethenkirche Steinen-Höllstein