Historische Theologie

Dietrich Bonhoeffer: Aber bei dir ist Licht

Dietrich Bonhoeffer: Aber bei dir ist Licht. Gebete, Gedichte und Gedanken aus dem Gefängnis (1943–1944), hrsg. und mit einer Einführung versehen von Peter Zimmerling, Gießen: Brunnen, 2018, geb., 155 S., € 13,–, ISBN 978-3-7655-0693-2


Siebzig Jahre nach dem Tod eines Autors (Bonhoeffer: 1906–1945) können seine Werke lizenzfrei nachgedruckt werden. Dies könnte der betriebswirtschaftliche Grund dafür sein, Bücher neu herauszubringen. Bei Dietrich Bonhoeffer ist die Bekanntheit des Verfassers und die geistliche als auch theologische Qualität seiner Werke der viel wichtigere Grund, Klassiker seines literarischen Schaffens wieder aufzulegen. Auf die vier Bände „Nachfolge“, „Gemeinsames Leben“, „Schöpfung und Fall“ und „Die Psalmen. Das Gebetbuch der Bibel“ folgt nun eine Auswahl aus Bonhoeffers Gebeten, Gedichten und Texte anderer literarischer Gattungen in seiner Gefängniszeit 1943 bis 1944. Diesem folgt 2019 ein Band mit Gefängnisbriefen (Du wartest jede Stunde mit mir: Die Briefe aus dem Gefängnis, Brunnen, 2019).

In seiner Einleitung (7–21) zu den „Gebete, Gedichte und Gedanken“ schildert der Herausgeber Peter Zimmerling, Praktischer Theologe in Leipzig, die Entstehungssituation der Texte, ihren besonderen Charakter und ihre Bedeutung für heute.

Durch die Gefangenschaft und sein Leiden erfährt Bonhoeffer eine Gleichgestaltung mit Christus. Seine Gefängniszelle wird ihm – wie im Mönchtum – zu einem Ort der Gottes- und Selbsterfahrung: „Die Zelle soll den Mönch lehren, nicht vor sich selbst davonzulaufen, sondern auch die problematischen Seiten des eigenen Charakters wahrzunehmen und in reifer Weise mit ihnen umzugehen. Es lag angesichts des erzwungenen Zellenaufenthalts im Gefängnis für Bonhoeffer nahe, Parallelen zum freiwilligen Leben in einer Mönchszelle zu ziehen.“ (16f). Unsere Gesellschaft kann aus Bonhoeffers Leben lernen, Leiden und Schwierigkeiten auch als Chance zum Reifen zu sehen (18). Politisch hat man seine Spätschriften als prophetische Mahnung an ein angepasstes Christentum, das Gottes Gebot gehorsam werden muss, verstanden (19).

Der Herausgeber hat den verschiedenen Texten jeweils eine Einführung vorangestellt. Besonders in den ersten Beiträgen wird sichtbar, wie Bonhoeffer wieder festen Boden unter die Füße bekommt. Er denkt über den Alltag im Gefängnis und über sein Leben nach. Er will verstehen, was es heißt, vielleicht schon bald sterben zu müssen.

Die praktische Übung des geistlichen Lebens in Gebeten ist immer mit dem Gesangbuch als einer Quelle der Frömmigkeit (54) verbunden. Das Morgen- und das Abendgebet sowie ein Gebet in Not (56–60) sind Perlen, die weniger bekannt sind als andere Texte aus der Gefängniszeit.

Manche Erfahrungen, die der Autor im Rückblick auf die Zeit seit 1933 reflektiert, kann der Leser in teils fast beklemmender Weise auch heute noch machen. So schreibt Bonhoeffer zum Beispiel, dass „das Böse in der Gestalt des Lichts, der Wohltat, des geschichtlich Notwendigen, des sozial Gerechten erscheint“ (24), oder: „Mit der Reinheit eines Prinzips meint der Fanatiker der Macht des Bösen entgegentreten zu können“ (24). Hier finden sich auch oft wiederholte Sätze wie: „Die letzte verantwortliche Frage ist nicht, wie ich mich heroisch aus der Affäre ziehe, sondern [wie] eine kommende Generation weiterleben soll“ (29). „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will“ (34). Aus diesem Grund wollte Bonhoeffer schon vor seiner Inhaftierung für eine bessere Zukunft Hand anlegen, selbst wenn morgen der Jüngste Tag anbräche (40, Anklang an das Luther zugeschriebene „Apfelbäumchen“-Wort, vgl. dazu Martin Schloemann, 1994, 33).

Viele Abschnitte der Sammlung werden heute schon als klassische Abhandlungen immer wieder zitiert, so die berühmte „Traupredigt aus der Zelle“ für Ursula und Eberhard Bethge (43–52) oder die Gedanken zum Tauftag des ersten Sohnes der beiden (64–73). Meditationen zu den Herrnhuter Losungen (74–85) belegen, wie die Betrachtung dieser kurzen Bibelabschnitte neben den Psalmen und Paul Gerhardts Chorälen zu den geistlichen „Grundnahrungsmitteln“ in der Gefangenschaft wurden (75).

Unter Bonhoeffers Gedichten weniger bekannt ist das erste mit dem Titel „Vergangenheit“ vom 5. Juni 1944 (86–90). Ihm folgt eine Ausarbeitung über die erste Tafel der Zehn Gebote (94–109). Auch heute noch oft zitiert wird das Gedicht „Wer bin ich“, das mit den bekannten Worten endet: „Wer ich auch bin, Du kennst mich, / Dein bin ich, o Gott!“ (110–112) Mit „Christen und Heiden“ (113–115) sowie „Nächtliche Stimmen“ (116–124) folgen ein wichtiges und ein eher unbekanntes Gedicht auf einander. Bei dem „Entwurf für eine Arbeit“ (125–130) handelt es sich um eine Skizze, wie das Reden von Christus und die Gestalt der Kirche in einer nachchristlichen Zeit aussehen könnten. Hieraus werden auch noch diskutiert, dass Christus der „Mensch für andere“ ist (128) und „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist“ (129). Es folgen – nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf Hitler „Stationen auf dem Weg zur Freiheit“ (131f), „Der Freund“ (für Eberhard Bethge) und als letztes Werk, von weltweiter Bedeutung „Von guten Mächten“ (146–150).

Der schmale Band eignet sich für nachdenkliches, meditierendes, wiederholendes Lesen. So erschließt sich die Fülle wichtiger theologischer und geistlicher Einsichten, aber auch klarer Zeitdeutungen, dem Leser. Ein Register zu manchen wichtigen Themen, die Bonhoeffer behandelt, würde den praktischen Nutzen des Bandes vergrößern. Aber auch ohne dieses Desiderat gilt: Jeder sollte sich mit Bonhoeffers späten Schriften beschäftigt haben und das Buch – oder ein weiteres Exemplar – anschließend verschenken!


Pfarrer Dr. Jochen Eber, Margarethenkirche Steinen-Höllstein