Historische Theologie

Gerhard Maier: Streiflichter meines Lebens

Gerhard Maier: Streiflichter meines Lebens. Ursprünglich sollte Gott gar nicht vorkommen, Holzgerlingen: SCM Hänssler, 2019, geb., 250 S., € 17,99, ISBN 978-3-7751-5915-9


Altlandesbischof Gerhard Maier (* 30.8.1937) ist als einer der profilierten württembergischen Pietisten neben und nach Fritz Grünzweig und Rolf Scheffbuch weithin bekannt. Einige theologische Veröffentlichungen von Maier dürfte jeder evangelikale Theologiestudent bzw. Pastor schon in der Hand gehabt haben oder auch heute noch regelmäßig benutzen. Besonders durch seine zweiundzwanzigjährige Mitarbeit im Tübinger Albrecht-Bengel-Haus (in den Jahren 1973 bis 1995) hat er mit seiner gründlichen exegetischen Arbeit über Württemberg hinaus eine Generation von Theologen mit geprägt.

Seinen Lebenserinnerungen stellt Maier die Einschränkung voran: „Dies ist keine umfassende Biografie. Dafür fehlen zu viele Dokumente und Erinnerungen. Ich musste auch vieles auslassen, weil es noch lebende Personen betrifft“ (7, unpag.). Die frühe Geschichte von Maiers Vorfahren geht über Ulm hinaus, wiewohl ihn Eltern und Freunde, die kirchlichen Erfahrungen und die Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg sehr geprägt haben. Der Klassenbeste (39) begann nach dem Abitur ein Jurastudium (40), heiratete seine Frau Gudrun (45), sie übergaben ihr Leben Jesus (48), er schnupperte in das Studium der Kunstgeschichte hinein (51f) und fing dann an, in Tübingen Theologie zu studieren (54ff). Die Söhne wurden geboren (54), und Otto Michel förderte Maier als Tutor und Assistent (59). 1968 begann das Vikariat in Baiersbronn (62ff) mit Maiers Kandidatur für die Synodalwahl (73ff) und im Frühjahr 1973 mit der Anfrage, zweiter Studienleiter am Albrecht-Bengel-Haus zu werden (erstmals sogar schon 1970: 79f).

Den Tübinger Jahren und dem Bengelhaus widmet Maier das umfangreichste Kapitel seiner Erinnerungen (Kap. 5, 82–139). Anfangs wurde Maier in Tübingen von vielen Studierenden pietistischer Herkunft und darüber hinaus, aber auch von Universitätsmitarbeitern abgelehnt. Sein Buch „Das Ende der historisch-kritischen Methode“ hatte ihn für viele im universitären Kontext unvermittelbar gemacht (87–90). „Nebenher“ lief die synodale Arbeit (92f), die Mitarbeit an Edition-C-Kommentaren und der Wuppertaler Studienbibel (98f) und weitere Veröffentlichungen wie die „Biblische Hermeneutik“ (102f, 224f). Durch die Studentenarbeit im Bengelhaus wurden internationale Kontakte bis nach Südkorea, Hongkong, Singapur und Indonesien aufgebaut (108–120). Als Vorstandsmitglied der Deutschen Indianer-Pionier-Mission kam Maier auch nach Südamerika (120–128), für Gastvorlesungen nach Kenia (128f). Im Rückblick auf die Zeit im Bengelhaus steht für Maier ein „Nein“ zur gemäßigten Form der Bibelkritik fest (131f). Dagegen bejaht er in der Prädestinationsfrage die freie Zuwendung des Menschen zu Gott oder die freie Möglichkeit der Ablehnung (133f). – Es ist wohl wenig bekannt, dass sich Vertreter des württembergischen Pietismus und weiterer „frommer“ Kreise mit dieser Position exegetisch-theologisch auf die Seite von Papst Leo X. stellen. Dieser verwirft in seiner Bannandrohungsbulle von 1520 ausdrücklich die 13. These aus der Heidelberger Disputation 1518, in der Luther feststellt: „Liberum arbitrium post peccatum res est de solo titulo“ (WA 1,354,5; Probatio 1,359,32–360,2). In diesem Punkt kann der Rezensent dem Verständnis Maiers nicht folgen.

1995 trat Maier die Ulmer Prälatur an (140–163), in deren Rahmen er auch Gottesdienste im Münster hielt. Zu seiner Aufgabe notiert Maier mit trockenem Humor, vielleicht etwas übertreibend: „Das Hauptwirkungsgebiet eines Prälaten lag in Stuttgart, in der Mitgliedschaft im Oberkirchenrat, wo er die Abstimmungsergebnisse mitbestimmen konnte“ (141). Spannend schildert er die Vorgänge, durch die es zu seiner Wahl als Landesbischof kam (157–162). Die Zeit im Bischofsamt wird im zweitlängsten Kapitel des Buchs dargestellt (164–215). In dieser Zeit gab es weitere internationale Kontakte, unter anderem nach Osteuropa, in den Kaukasus, nach Tansania und wiederum Indonesien (173f, 188–215), Gespräche in der EKD und mit der VELKD (176ff) sowie Debatten über den Islam (181–186) – um nur einige der zahlreichen angesprochenen Themen zu nennen.

Im letzten Kapitel schildert und reflektiert Maier seine Erfahrungen im Ruhestand seit dem Jahr 2005 (216–242), wie auch in den vorangehenden Kapiteln immer wieder Bezug nehmend auf die Losungen der Herrnhuter Brüdergemeine (229). Offen übt er Kritik an Zentralisierung und problematischen Sparplänen in der Kirche (219f), er denkt nach über das Verhältnis von Israel, Judentum und Protestantismus bzw. die Frage der Judenmission (231f), spricht über letzte Vorlesungen und Schreibaufgaben (233, 237). Das Älterwerden (234, 237, 239–242) ist das letzte Thema dieses sehr persönlich gehaltenen Buches, das auf den Leser oft wie ein Gespräch mit dem Verfasser wirkt. Manche Ereignisse und Themen werden unverblümt direkt und deutlich kommentiert, andere nachdenklich weise gedeutet, andere wiederum etwas altersmilde interpretiert. Die zahllosen Begegnungen mit Menschen verschiedenster Kulturen zeigen den weiten Horizont auf, in dem Maier gearbeitet hat. Der anfangs genannten Einschränkung bei der Nennung noch lebender Personen stehen einerseits vornehme und andererseits kritisch-offene und wertende Einlassungen über Theologie und Handeln anderer Persönlichkeiten und die Zukunft der Landeskirchen gegenüber. Gerade die – auch unterhaltsamen – reflektierten Zusammenkünfte mit anderen Menschen machen Maiers „Streiflichter“ wertvoll, wenn auch das Buch nicht umfassend das klassische Thema „Leben und Werk“ darstellt: Ein solches Werk müsste erst noch geschrieben werden. Zweifellos werden aber schon die „Streiflichter“ mehrere Auflagen erleben. Niemand wird daran zweifeln, dass bei diesen Lebenserinnerungen gesagt werden muss: Jeder Theologe, und nicht nur jeder Württemberger (!), sollte sie gelesen haben!


Pfarrer Dr. Jochen Eber, Margarethenkirche Steinen-Höllstein