Altes Testament

Miriam von Nordheim-Diehl: Streit um Korach

Miriam von Nordheim-Diehl: Streit um Korach. Eine biblische Figur zwischen Numeri, den Psalmen und der Chronik, WMANT 176, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2023, Ln., 299 S., € 120,–, ISBN 978-3-525-56087-7


In der Rezension zur Studie von Raik Heckl über die Leviten (https://rezensionen.afet.de/?p=1638) spreche ich von „dornigem Gelände“. Entsprechendes gilt auch für die Aussagen rund um Korach und seine Nachfahren. In ihrer Habilitationsschrift (Evangelische Theologie, Frankfurt a. M.) bringt Vfn. das „Korach-Problem“ gleich zu Beginn auf den Punkt: „Wie kann es sein, dass – wie Num 16f berichtet – ein Levit mit Namen Korach einen Aufstand gegen Mose und Aaron anführte, er als Strafe mitsamt allen, die zu ihm gehörten, vom Erdboden verschluckt wurde, und trotzdem seine Nachkommen, die Söhne Korachs, als Psalmendichter Berühmtheit erlangten?“ (13).

Es geht um das innerbiblische Verhältnis und die Spannungsfelder, konkret um das Erscheinen Korachs in drei alttestamentlichen Büchern, in denen dieser bzw. seine Nachfahren – vereinfacht gesagt – in einem negativ (Numeri) und in zweien positiv (Psalter und Chronik) dargestellt wird. Vfn. erarbeitet die Texte in Numeri (21–108), Psalter (109–165) und Chronik (167–239), bevor zum Schluss eine Gesamtschau (241–255) dargeboten wird. Ein wirkungsgeschichtlicher Ausblick und ein Anhang (Num 16f. in der LXX) runden den Band ab. Eine Bibliografie sowie ein Namen- und Sachregister sind beigegeben.

Gemäß Vfn. vermittelt die Bibel kein einheitliches Korach-Bild, vielmehr sind die unterschiedlichen Darstellungen Teil eines großen redaktionellen Netzwerks bzw. Verweissystems. Chronologisch-thematisch stellt sich dieses folgendermaßen dar:

1. Ein berühmtes Sängergeschlecht, die „Söhne Korachs“ (Blütezeit 4. Jh. v. Chr.), sammelten und edierten Psalmen, nämlich Ps 42–48. 

2. Danach erfolgte ein Bruch: Die Korach-Bearbeitungsschicht (4. Jh. v. Chr.) wurde in Num 16f eingeschrieben (es existierte nie eine selbständige Korach-Erzählung). Der Stammvater dieser Gilde wurde als Frevler gegen Mose charakterisiert. 

3a. Aufgrund dieser Diffamierung war diesem Sängergeschlecht der Zugang zum Ziontempel versperrt; sie sind isoliert. Diese für sie dunkle Zeiten verarbeiten sie in den Sehnsuchts- und Klagepsalmen 84f, 87f (4./3. Jh. v. Chr.; die Korachpsalmen sind nicht einheitlich; diese zweite Gruppe wird später in Teilbuch III eingefügt).

3b. Zu ähnlicher Zeit präsentierte „der Chronist“ eine gegenüber Num „alternative Sicht“: „Die korachitischen Sänger sind hochzuschätzendes Tempelpersonal“ (242). Dies geschieht durch modifizerende Techniken innerhalb der Genealogie(n) (Übergehen, Korrigieren, Neuarrangieren von Personen). Die Korach-Nachfahren werden rehabilitiert: Sie stammen ab von Korach, dem Sohn Amminadabs (auch ein Levit), nicht von Korach, dem Sohn Jizhars, dem Rebellen.

4. Eine weitere Reaktion zu Num 16f bietet Ps 49, diesmal (auch) in negativem Sinn (2. Jh. v. Chr.). Dessen Präskript ist eine Fremdzuschreibung an die Söhne Korachs (am Ende der ersten Sammlung). Diese werden mit reichen, arroganten Menschen identifiziert, die dem Tod entgegengehen. Die Psalmen der Korachsöhne reflektieren also dreistufig den Wandel ihrer gesellschaftlichen Stellung. Ps 42–48 sind zeitlich vor Num 16f, während die zweite Gruppe der Korach-Psalmen und der Redaktor von Ps 49 Kenntnis von dieser Stelle haben.

Nach Vfn. steht die Einfügung der negativen Korach-Aussagen in Num mit Kompetenzstreitigkeiten am nachexilischen Tempel in Zusammenhang. Die Leviten erleiden einen Verlust ihrer Position, und Korach wird von Mose – im Sinn einer Rückprojizierung in die Wüstenzeit – Amtsanmaßung und Überheblichkeit vorgeworfen. Daneben sieht Vfn. eine zweite, symbolische Bedeutungsebene. Sie lässt sich als Streit zwischen Tora- (Mose) und Tempeltheologie (Korach) bestimmen; diese wird auch in der Wirkungsgeschichte greifbar (z. B. bei Josephus). Der Chronist hingegen verbindet: Man braucht beides: Tempel und Tora.

Die Studie besticht durch eingehende Textuntersuchungen. Ein Schlüssel liegt in den Numeri-Abschnitten, zumal ohne Num 16f die Diskrepanz hinfällig würde. Mit der neueren (kontinentaleuropäischen) Numeri-Forschung beurteilt Vfn. die Texte im Buch insgesamt als späte, nachdeuteronomistisch-nachpriesterliche Mischtexte mit Diskussionscharakter (keine Quellen). Innerhalb von Num 16f stellen die Korach-Aussagen dabei eine später eingeschobene Bearbeitungsschicht dar. Damit ist das Korachiter-Problem umgedreht: Gegenüber der kanonischen Lesung stellen nicht die (ersten) Korachiterpsalmen eine Überraschung dar, vielmehr ist das Geschehen in Num 16f, das die unbescholtenen Sängerleviten in ein derart schlechtes Bild stellt, erklärungsbedürftig.

Abgesehen von der literargeschichtlichen Einordnung von Numeri und deren Konsequenzen, die mir fraglich sind, gibt es auch eine Spannung innerhalb des Numeri-Buches: In Num 26,11(.58) heißt es, dass die „Söhne/Nachfahren Korachs“ (בני קרח) nicht starben (auch im Sinn von Num 14,18–23.31). Vfn. sieht darin eine die Spannung aufhebende, spätere Korrekturstufe. Vielleicht gibt es aber eine andere, (zu?) einfache Lösung: In Num 16f werden die Anhänger Korachs nie als „Söhne/Nachfahren“ (oder „Korachiter“) bezeichnet, sondern als „(seine) Schar/Gemeinde“ (עדה) (16,5.11.16.19; 17,4; in 16,32 ist von „allen Menschen, die Korach [zugehörig waren]“, die Rede). Für die Überlebenden des Korach-Frevels wird nie die Begrifflichkeit für die zeitgleiche Anhängerschaft („Schar/Gemeinde“), sondern die zeitverschiedene Herkunft („Söhne/Nachfahren, Korachiter“) herausgestellt (vgl. v. a. Psalter und Chronik). Im Psalter fällt auf, dass die Psalmen – singulär! – nicht dem Eponym selbst (wie bei Asaph), sondern dessen Nachfahren zugewiesen werden. Damit ist die Irritation der Nachkommenschaft von einem aufständigen Leviten zwar nicht beseitigt, aber die Nachfahren werden auf das Vergehen nicht behaftet (wie die Einzugsgeneration im Vergleich mit der Wüstengeneration). Die Interpretation der Korachpsalmen 84f, 87f (und 49) als Interaktion mit bzw. Reaktion auf Num 16f ist spannend, aber auch gewagt.

Ein Letztes: Vfn. spielt die „external evidence“, nämlich die inschriftliche Erwähnung von „Nachfahren Korachs“ (בני קרח, ohne zuweisendes lamed wie etwa bei den Psalm-Präskripten), herunter. Die Inschrift findet sich auf dem äußeren Boden einer (weitere Inschriften aufweisende) Schale (Arad 49,2; kein Ostrakon!). Sie stammt aus dem letzten Vierteil des 8. Jh.s v. Chr., wurde neben dem Heiligtumsbereich im südjudäischen Arad gefunden und diente wahrscheinlich kultischen Zwecken (vgl. dazu Y. Aharoni, Arad Inscriptions, 1981; N. Na’aman, Tel Aviv 48, 2021, 213–235). Eine sichere Identifikation mit den biblischen Korachiten ist nicht möglich; die Wahrscheinlichkeit, dass korachitische Leviten bereits zur Königszeit an Heiligtümern wirkten, aber doch erheblich. Vfn. geht davon aus, dass alle biblischen Korach-Belege nachexilisch sind; offen bleibt dabei, woher die Korachiter kamen und weshalb sie hohe Bedeutung erlangten.

Die Vfn. hat eine materialreiche und sorgfältige Studie vorgelegt, die wertvolle Einsichten enthält. Deren Vorannahmen und damit auch das Ergebnis überzeugen mich jedoch nicht.


Beat Weber, Pfr. Dr. theol., Basel, Research Associate am Department of Ancient and Modern Languages and Cultures, Universität Pretoria, Südafrika