Historische Theologie

August Ebrard: Lebensführungen. In den Jahren des Berufes

August Ebrard: Lebensführungen. In den Jahren des Berufes, hg. v. Wolf, Gerhard Philipp; Blaufuß, Dietrich; Ehmann, Johannes,Veröffentlichungen des Vereins für Pfälzische Kirchengeschichte 38, Ubstadt-Weiher: Verlag Regionalkultur; Speyer: Verein für Pfälzische Kirchengeschichte, 2022, Hb., 544 S., € 38,–, ISBN 978-3-95505-276-8


Wer sich mit der Erweckungsbewegung in dem seit 1806 zu Bayern gehörenden evangelischen Franken beschäftigt, wird in der damals beschaulich-kleinen Universitätsstadt Erlangen neben dem reformierten Pfarrer und a. o. Professor Johann Christian G. L. Krafft (1784–1845) und dem Professor für Naturgeschichte Karl L. Georg von Raumer (1783–1865) bald auf den Namen des reformierten Gelehrten Johann Heinrich August Ebrard (1818–1888) stoßen.

Aufgrund von Tagebuchnotizen und Aufzeichnungen der Familie erstellte Ebrard ein umfangreiches biographisches Manuskript. Doch nach seinem Tod am 23. Juli 1888 konnte nur der erste Teil des Lebenslaufs erscheinen. Ein Grund war, dass seine Ehefrau die Veröffentlichung nicht befürwortet hat (Bd. II, 519) . Der erste Teil, der aus drei Büchern besteht („Lebensführungen. In jungen Jahren“, Gütersloh: Bertelsmann, 1888, VIII+ 562 S.), wird nur sehr selten auf Antiquariatsplattformen angeboten. Doch haben die Universitäts- und Landesbibliothek Münster (2013) und die Bayerische Staatsbibliothek (= Google, 2022) inzwischen zwei Exemplare als Digitalisate zugänglich gemacht. So können Interessenten Ebrards Lebenslauf komplett studieren. Zusätzlich hat der Ordinarius einige Lebensstationen poetisch verarbeitet; seine ebenfalls digitalisiert vorliegenden und unter dem Pseudonym „Gottfried Flammberg“ publizierten Gedichte fanden offensichtlich so großen Anklang, dass sie nach vier Jahren in zweiter Auflage erschienen („Ein Leben in Liedern“ Erlangen: Deichert, 1. Aufl., VIII+240 S., 1868 [mit Vorwort]; 2. Auflage, IV+ 274 S., 1872).

Aus dem ersten Band soll nur erwähnt werden: Der reformierte Erlanger Pfarrersohn August Ebrard wurde am 18. Januar 1818 in Erlangen geboren. Mit großem Interesse an Geschichte und noch größerem Eifer für die Ahnenforschung hat er die Herkunft seiner Familie erforscht: Sein Vater François Elie Ebrard stammte aus einem alten Hugenottengeschlecht, das in den Cevennen in der Region Languedoc bis ins Frühmittelalter dokumentiert ist und den Namen „Eber-Herz“ trug. Seine Frau Luise geborene von Loewenich stammte mütterlicherseits ebenfalls aus einer Hugenottenfamilie (de la Rue; I, 231).

Durch den pietistisch geprägten Gymnasialprofessor Friedrich Wilhelm von Rücker wird Ebrard „zur entschiedenen Hingabe an den Herrn, zum Leben in Gott“ geführt (Bd. I, 101). Rücker gehörte zu den Erweckten, deren bedeutendster Vertreter der Erlanger reformierte Pfarrer und a. o. Professor Christian Krafft war. Nach Schul- und Gymnasialzeit studierte Ebrard ab 1835 in Erlangen. Er lässt es sich in dieser Zeit nicht entgehen, bei der Einweihung der ersten Eisenbahn in Nürnberg dabei zu sein und fährt am Eröffnungstag schwarz (!) in elf Minuten nach Fürth (269f). Weil er kein Retourbillet bekommt, muss er bis tief in die Nacht hinein nach Erlangen zurückwandern. – Uns Spätgeborenen ist nicht mehr bekannt, aber verständlich, warum die Bahnfahrt eine große Verbesserung gegenüber der Postkutschenfahrt darstellt: Im gleisgebundenen Zug wird es dem Fahrgast auf der Fahrt nicht übel (vgl. 243).

Ein Auswärtsstudienjahr verbringt Ebrard von 1838 bis 1839 in Berlin. Danach legt er im September 1839 in Ansbach seine Examina ab.

Aus Theologensicht ist das Interessante an seinen Schilderungen, dass er – wie auch im neuen zweiten Band seiner Lebensgeschichte – in seinen Studienjahren sowie auf den Reisen nach Berlin und zurück viele noch heute bekannte Theologen und andere Gelehrte kennenlernt. Er schildert die Begegnungen mit ihnen teilweise ausführlich und nicht ohne Humor. So entsteht ein lebendiges Bild für die Zielgruppe seiner Biographie, die diese Persönlichkeiten nicht mehr persönlich kannte. Um nur einige zu nennen: Adolf Harleß, Johann Konrad Hofmann, Hermann Olshausen, Theodosius Harnack, Ludwig Feuerbach, Friedrich Rückert, August Neander, August Twesten, Hans Ernst von Kottwitz (Bd. I, 399), Carl Ritter, Leopold von Ranke, Wilhelm Höfling, Heinrich W. J. Thiersch, Christian Carl Josias von Bunsen, Julius Schnorr von Karolsfeld, schließlich auch Friedrich August G. Tholuck in Halle (Bd. I, 474) – und das sind nur die wichtigsten.

Für Freunde des studentischen Verbindungswesens ist aufschlussreich, dass Ebrards die Gründung und weitere Entwicklung der christlichen Studentenverbindung Uttenruthia in Uttenreuth bei Erlangen als erste nichtschlagende Verbindung Deutschlands im Jahr 1836 ausführlich darstellt (Bd. I, 2. Buch, 1. und 3. Abschnitt).

Der erste Band von Ebrards Lebensbeschreibung endet mit dem dritten Buch (Bd. I, 511–562) über seine zweijährige Zeit als Hauslehrer im reformierten Pfarrhaus des von Hugenotten gegründeten Ortes Friedrichsdorf (nördlich von Frankfurt). Dort entschließt er sich, eine Promotion zum Dr. phil. (vgl. Bd. II, 13) und eine theologische Habilitation anzustreben (561, vgl. Bd. II, 15 und 25).

Nach 134 Jahren findet seine veröffentlichte Lebensgeschichte ihre Fortsetzung im vorliegenden 2. Band, der fünf Bücher und einen kurzen Schlussabschnitt enthält. Vorangestellt ist ein zusammenfassender Rückblick auf den vergriffenen 1. Band von Gerhard Philipp Wolf (VII-VIII). Das ausführliches Inhaltsverzeichnis (Bd. II, 3–10) sowie Anmerkungen zur Edition, zu Ebrards Leben und Werk (von Dietrich Blaufuß und G. P. Wolf), schließlich Orts- und Personenregister (Bd. II, 528–544) erleichtern den Zugriff auf die 500 Textseiten des Bandes.

Nach Promotion 1841 und Habilitation 1842 heiratet Ebrard 1844 Luise von Loewenich (Bd. II, 58). Ihnen wurden drei Söhne geboren. Ebrard wird aufgrund seiner klaren Analyse und Kritik der Theologie von David Friedrich Strauß („Wissenschaftliche Kritik der evangelischen Geschichte“, 1842) 1844 als a. o. Professor an die Universität Zürich berufen. Als für ihn in Erlangen in der Nachfolge von Krafft eine ordentliche Professur eingerichtet wird (Bd. II, 151), wechselt Ebrard 1847 in seine Heimatstadt. Seine Berufung als Konsistorialrat und Hauptprediger ins pfälzische Speyer im Jahr 1853 ist stark von der Faszination einer einzurichtenden reformierten Synode mit Presbyterialverfassung geprägt (Bd. II, 240), Ebrard reibt sich dann aber im Kirchenstreit um die erstrebte konservativere Theologie in Fragen des Katechismus und des Gesangbuchs auf (Bd. II, 7. Buch). Als Ebrard miterleben muss, dass der König die Generalsynode auflöst und Gesangbuch und Katechismus wieder abschafft, reicht er sein Gesuch um Zurruhesetzung ein und zieht 1861 wieder nach Erlangen. Dort kann er aufgrund seiner venia legendi wieder private Vorlesungen halten (Bd. II, 365f, 374), lesen und dichten, forschen und Veröffentlichungen zum Druck befördern. Mit 57 Jahren wird Ebrard als fünfter Nachfolger seines Vaters Pfarrer der Erlanger französisch-reformierten Gemeinde (Bd. II, 493f), die 270 Gemeindeglieder zählte (Bd. II, 496). Zum Amt als Präses des Synodalmoderamens (ebd.) von Bayern gehörten ausgedehnte Reisen und zahlreiche weitere Aufgaben.

Nachdem er schon an der ersten weltweiten Vollversammlung der Evangelischen Allianz 1851 in London teilgenommen hat, besucht er auch die siebente Weltversammlung in Basel 1879 und erlebte dort „Tage der edelsten Freude“ (Bd. II, 501).

Mit 70 Jahren denkt Ebrard daran, vom Pfarramt zurückzutreten (Bd. II, 515). Er stirbt in Erlangen am 23. Juli 1888.

Es ist dem Verein für Pfälzische Kirchengeschichte zu danken, dass er diese wichtige umfangreiche Biographie in gediegener Fadenheftung zu einem fairen Preis veröffentlicht hat! Sie ist nicht nur für die Pfalz, sondern in gleicher Weise auch für bayerische und besonders die Erlanger Kirchengeschichte von Bedeutung. Darüber hinaus werden Interessierte auf den Gebieten der reformierten Theologie, der lutherischen Theologie und der pietistischen Erweckungsbewegung im 19. Jahrhundert die vielfältigen Bezüge zu Personen ihres Themas zu schätzen wissen.

Allein schon Ebrards ausführliche Darstellung des großbürgerlichen Familienlebens seiner Zeit in den beiden Bänden lohnt sich zu lesen, da sie Bilder einer längst vergangenen Zeit lebendig vor Augen stellt. Das starke Interesse Ebrards an allgemeinbildenden Themen und seine Veröffentlichungen auf verschiedenen Gebieten, seine zahlreichen Kontakte zu Gemeindegliedern und Kollegen machen das Buch zu einer abwechslungsreichen Lektüre nicht nur für Theologen. Unterhaltsam ist Ebrards Gabe, besonders auf Reisen Fremdes, Skurriles und Lustiges zu notieren und damit den Leser zum Schmunzeln zu bringen. Auf seiner ersten Fahrt in die Pfalz macht er Rast in Ludwigshafen, „das aus dem Bahnhof und zwei Gasthäusern bestand“. Er durchquert die Stadt Mannheim und findet sie „unendlich langweilig“ (Bd. II, 190, 192). Bei der Darstellung seines Besuchs der Millionenstadt London erläutert er „Die englische Kost und Eßweise“ (das Beste war der geschätzt halbe Liter Portwein nach dem Essen) und schildert eindrücklich u. a. nicht nur die Allianzversammlung, sondern auch die Armut in der Stadt (Bd. II, 218–225).

Ein Wermutstropfen zum Schluss: Die Register des Werkes wurden anscheinend mit einer heißen Nadel gestrickt. Es finden sich Fehler in der alphabetischen Reihenfolge, und wichtige Personen wie Adolf Sarasin („Sarafin“), Pfarrer großbürgerlich-Basler Herkunft und Herausgeber des christlichen Basler Volksboten, kommen zwar im Text, aber nicht im Register vor (Bd. II, 157).


Pfarrer Dr. Jochen Eber, Schriesheim