Historische Theologie

Udo Sträter / Johannes Wallmann in Zusammenarbeit mit Klaus vom Orde (Hg.): Philipp Jakob Spener, Briefe aus der Frankfurter Zeit 1666–1686

Udo Sträter / Johannes Wallmann in Zusammenarbeit mit Klaus vom Orde (Hg.): Philipp Jakob Spener, Briefe aus der Frankfurter Zeit 1666–1686, Bd. 8: 1686 mit einem Anhang Briefe aus der Straßburger Zeit 1653–1666, Tübingen: Mohr Siebeck, 2022, geb., XXXIV+754 S., geb., Ln., € 199,–, ISBN 978-3-16-161979-3


Bereits im Vorwort zum 2019 erschienenen siebten Band der Spener-Briefe kündigte der Herausgeber Udo Sträter das baldige Erscheinen des letzten Bandes an – nun liegt Band 8 vor und beschließt mit den Briefen aus dem ersten Halbjahr des Jahres 1686 die Edition der Briefe Philipp Jakob Speners (1635–1705) aus seiner Zeit als Senior der lutherischen Geistlichen in Frankfurt. Neben 38 Briefen, die Spener in den Monaten vor seinem Wechsel nach Dresden verfasste, bietet dieser Band jedoch weitere 110 Briefe, zunächst „Nachträge von Briefen aus der Frankfurter oder Dresdner Zeit“ (Nr. 39–52), die im bzw. um das Jahr 1686 entstanden, dann „Nachträge von Briefen aus der Frankfurter Zeit“ (1666–1686; Nr. 53–111) und „Nachträge: Dresdner Zeit“ (1686–1689; Nr. 112–117) sowie schließlich – erstmals kritisch ediert – die Briefe aus der Straßburger Zeit, aus den Jahren 1653 bis zu seiner Berufung nach Frankfurt 1666 (Nr. S–1 bis S–31). Die Nachträge bieten bisher undatierte oder unvollständige Briefe, deren Kontext, Entstehungszeit und Adressaten sorgfältig rekonstruiert wurden. Erstdrucke aus Handschriften finden sich selten, aber kritische Neu-Editionen von Briefen aus Speners „Theologischen Bedencken“ und den „Consilia et Iudicia“. Das in Band 8 edierte Briefkonvolut umfasst mehr als drei Jahrzehnte und zeigt dementsprechend eine Adressaten- und Themenvielfalt. Zu würdigen ist daher, dass die Editoren durch die Einleitung (Klaus vom Orde; XIII–XIX), durch Querverweise auf die anderen Briefbände in den Anmerkungen sowie durch das umfangreiche deutsche Sachregister (675–752) zu allen acht Bänden der Frankfurter Briefe eine erste Einordnung vornehmen. Der Band beschließt aber nicht nur die Frankfurter Zeit Speners, sondern gibt mit den frühen Briefen aus Straßburg, Basel, Genf und Tübingen Einblick in Speners Studien-, Reise- und Predigerzeit und die Entstehung und Entwicklung des lutherischen Pietismus.

Ediert sind alle Briefe nach dem bereits aus den vorangehenden Briefbänden bekannten und bewährten Schema: Adressat, Datum, Inhaltszusammenfassung und Notiz zur Überlieferung gehen dem Abdruck der deutschen und lateinischen Briefe voraus. Der Anmerkungsapparat bietet wichtige Informationen zu den im jeweiligen Brief genannten Themen, Schriften und Personen und die Zeilenangaben ermöglichen das präzise Zitieren und schnelle Auffinden von Aussagen. Personen-, Orts- und Bibelstellenregister (653–673) zu diesem Band gehen dem erwähnten Gesamtsachregister zu allen Bänden der Frankfurter Zeit voran.

Die fünf Teilkonvolute bieten in den angesprochenen Themen (und Adressaten) sowohl Kontinuität als auch einzelne neue oder bislang von Spener selten angesprochene Aspekte: So zeigen die Briefe des ersten Halbjahrs 1686 (Nr. 1–38) vor Speners Wechsel nach Dresden vor allem die Kontinuität zu seiner vorausgehenden Briefkorrespondenz. Neben dem Austausch zu Speners Wechsel und damit der grundsätzlichen Frage nach der Berufung ins Predigeramt (Briefe Nr. 15–17, 22–23) finden sich hier kirchlich-theologische, vor allem ekklesiologische Fragen, Überlegungen zu Stellenbesetzungen im Sinne einer pietistischen Personalpolitik und seelsorgerliche Ratschläge, die Spener auch in seinen früheren Briefen immer wieder thematisiert hatte. Dazu gehört auch die Sorge um die verfolgten Glaubensgeschwister, wie z. B. die Hugenotten, die durch die Aufhebung des Edikts von Nantes im Oktober 1685 ihre bürgerlichen und religiösen Rechte in Frankreich verloren (Nr. 19).

Zu den weniger bekannten Aspekten zählen Speners Überlegungen gegenüber Ahasver Fritsch [?] in einem Brief vom April 1686 zu einem zölibatären Leben im Protestantismus (Nr. 26). Hier ist bedauerlich, dass die Briefbände auf Übersetzungen verzichten. Denn nicht nur dieser Brief, sondern auch der einzig andere, in dem Spener dieses Thema anspricht – 1680 gegenüber Johann Wilhelm Petersen (Bd. IV, Nr. 120, 480) – ist auf Latein verfasst. Vier Briefe zum Wappen des Hauses Sayn aus den Jahren 1675 bis 1679, die hier nachgereicht werden (Nr. 63, 69, 72, 88), zeigen, dass Spener auch in der Zeit der Anfänge des Pietismus in Frankfurt über geistliche und theologische Fragen hinaus interessiert war und korrespondierte. Seine frühen (lateinischen) Briefe aus den Jahren 1662 bis 1664 (Nr. S–15, S–16, S–18) zeugen von seinem Interesse am Hebräischen und der Auseinandersetzung mit der jüdischen Kabbala (der er wenig abgewinnen kann), und in einem (lateinischen) Brief an Christoph Forstner vom Januar 1665 (Nr. S–19) listet Spener fast 60 Auslegungen der Offenbarung des Johannes auf, die er für seine Dissertation eingesehen und erarbeitet hatte. Die bibliographischen Nachweise dieser Kommentare sowie die (an manchen Stellen fast zu) ausführlichen Biogramme ihrer Verfasser sind sehr hilfreich für das Verständnis des Briefs. Vor allem aber zeigen diese frühen Straßburger Briefe, dass Spener sich in dieser Zeit intensiv mit verschiedenen theologischen und historischen Fragen auseinandersetzte, bevor er als Reformer der lutherischen Kirche in Frankfurt bekannt wurde.

Mit Band 8 der Frankfurter Briefe liegt damit nicht nur ein Abschlussband für die Frankfurter Zeit vor, sondern im besten Sinn ein Ergänzungsband zu den Bänden 1 bis 7 und wieder ein – buchstäblich und übertragen – gewichtiger Band.


Dr. Ulrike Treusch, Professorin für Historische Theologie an der Freien Theologischen Hochschule Gießen